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Einleitende Bemerkungen

Mario Draghi, Präsident der EZB,
Vítor Constâncio, Vizepräsident der EZB,
Frankfurt am Main, 8. September 2016

Sehr geehrte Damen und Herren, der Vizepräsident und ich freuen uns sehr, Sie zu unserer Pressekonferenz begrüßen zu dürfen. Wir werden Sie nun über die Ergebnisse der heutigen Sitzung des EZB-Rats informieren, an der auch der Vizepräsident der Kommission, Herr Dombrovskis, teilgenommen hat.

Auf der Grundlage unserer regelmäßigen wirtschaftlichen und monetären Analyse haben wir beschlossen, die Leitzinsen der EZB unverändert zu belassen. Wir gehen weiterhin davon aus, dass sie für längere Zeit und weit über den Zeithorizont unseres Nettoerwerbs von Vermögenswerten hinaus auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau bleiben werden. Was die geldpolitischen Sondermaßnahmen betrifft, so bestätigen wir, dass die monatlichen Ankäufe von Vermögenswerten im Umfang von 80 Mrd € bis Ende März 2017 oder erforderlichenfalls darüber hinaus und in jedem Fall so lange erfolgen sollen, bis der EZB-Rat eine nachhaltige Korrektur der Inflationsentwicklung erkennt, die mit seinem Inflationsziel im Einklang steht.

Heute haben wir die seit unserer letzten Sitzung verfügbar gewordenen wirtschaftlichen und monetären Daten einer Beurteilung unterzogen und die neuen, von Experten der EZB erstellten gesamtwirtschaftlichen Projektionen erörtert. Auch wenn die verfügbare Evidenz bis dato darauf hindeutet, dass die Wirtschaft des Eurogebiets der anhaltenden globalen wirtschaftlichen und politischen Unsicherheit standhält, bleibt unser Basisszenario insgesamt mit Abwärtsrisiken behaftet.

Unsere umfassenden Maßnahmen sorgen nach wie vor für günstige Finanzierungsbedingungen und stärken die Dynamik der Konjunkturerholung im Euroraum. Folglich gehen wir weiterhin davon aus, dass das reale BIP moderat, aber stetig zulegt und die Inflationsrate im Euro-Währungsgebiet in den kommenden Monaten allmählich steigt. Dies steht im Einklang mit der Entwicklung, die bereits in den von Experten des Eurosystems erstellten Projektionen vom Juni 2016 angenommen wurde.

Der EZB-Rat wird auch künftig die Wirtschafts- und Finanzmarktentwicklung sehr genau beobachten. Wir werden das beträchtliche Maß an geldpolitischer Unterstützung beibehalten, das in den von Experten der EZB erstellten Projektionen Berücksichtigung fand und notwendig ist, um sicherzustellen, dass die Inflation mittelfristig auf ein Niveau von unter, aber nahe 2 % zurückkehrt. Erforderlichenfalls werden wir alle im Rahmen unseres Mandats verfügbaren Instrumente nutzen. Unterdessen hat der EZB-Rat die betreffenden Ausschüsse mit der Bewertung jener Optionen betraut, die eine reibungslose Umsetzung unseres Ankaufprogramms gewährleisten.

Gestatten Sie mir nun, unsere Einschätzung näher zu erläutern und dabei mit der wirtschaftlichen Analyse zu beginnen. Das reale BIP des Eurogebiets legte im zweiten Jahresviertel 2016 um 0,3 % gegenüber dem Vorquartal zu, verglichen mit 0,5 % im ersten Vierteljahr. Neue Daten deuten auf ein anhaltendes Wachstum im dritten Jahresviertel 2016 hin, das in etwa so hoch ausfallen dürfte wie im zweiten Quartal. Mit Blick auf die Zukunft gehen wir weiterhin davon aus, dass sich die wirtschaftliche Erholung in gemäßigtem, aber stetigen Tempo fortsetzt. Die Binnennachfrage wird nach wie vor durch die Transmission unserer geldpolitischen Maßnahmen auf die Realwirtschaft unterstützt. Günstige Finanzierungsbedingungen sowie eine Verbesserung der Aussichten für die Nachfrage und der Ertragslage der Unternehmen befördern weiterhin eine Erholung der Investitionstätigkeit. Das real verfügbare Einkommen der privaten Haushalte und somit auch die privaten Konsumausgaben werden durch den anhaltenden Beschäftigungszuwachs, der unter anderem auch von vergangenen Strukturreformen profitiert, und durch den nach wie vor relativ niedrigen Ölpreis zusätzlich gestützt. Der finanzpolitische Kurs im Euro-Währungsgebiet dürfte 2016 leicht expansiv sein und 2017 sowie 2018 weitgehend neutral ausfallen. Allerdings dürfte die konjunkturelle Erholung im Eurogebiet durch die nach wie vor verhaltene Auslandsnachfrage, die zum Teil mit der aus dem Ergebnis des Brexit-Referendums herrührenden Unsicherheit zusammenhängt, durch die erforderlichen Bilanzanpassungen in einer Reihe von Sektoren sowie durch die schleppende Umsetzung von Strukturreformen gebremst werden. In Bezug auf die Wachstumsaussichten des Euroraums überwiegen weiterhin die Abwärtsrisiken, die sich hauptsächlich aus dem außenwirtschaftlichen Umfeld ergeben.

Diese Einschätzung deckt sich weitgehend mit den von Experten der EZB erstellten gesamtwirtschaftlichen Projektionen für das Euro-Währungsgebiet vom September 2016. Den dort enthaltenen Berechnungen zufolge wird das jährliche reale BIP 2016 um 1,7 % und in den beiden darauffolgenden Jahren um jeweils 1,6 % steigen. Gegenüber den von Experten des Eurosystems erstellten gesamtwirtschaftlichen Projektionen vom Juni 2016 wurde der Ausblick für das Wachstum des realen BIP leicht nach unten korrigiert.

Der Vorausschätzung von Eurostat zufolge belief sich die am HVPI gemessene jährliche Teuerungsrate für das Euro-Währungsgebiet im August 2016 wie bereits im Vormonat auf 0,2 %. Während die jährliche Inflationsrate der Energiepreise weiter stieg, fiel der Preisauftrieb bei Dienstleistungen und Industrieerzeugnissen ohne Energie etwas schwächer aus als im Juli. Auf Grundlage der aktuellen Terminpreise für Öl dürften die Teuerungsraten in den nächsten Monaten weiterhin auf einem niedrigen Niveau liegen, bevor sie gegen Ende 2016 allmählich anziehen, was größtenteils auf Basiseffekte im Zusammenhang mit der Jahresänderungsrate der Energiepreise zurückzuführen ist. Getragen von unseren geldpolitischen Maßnahmen und der erwarteten Konjunkturerholung dürften die Inflationsraten in den Jahren 2017 und 2018 weiter steigen.

Dieses Verlaufsmuster ist auch in den von Experten der EZB erstellten gesamtwirtschaftlichen Projektionen für das Euro-Währungsgebiet vom September 2016 zu erkennen. Den dort enthaltenen Berechnungen zufolge wird sich die jährliche HVPI-Inflation 2016 auf 0,2 %, 2017 auf 1,2 % und 2018 auf 1,6 % belaufen. Im Vergleich zu den von Experten des Eurosystems erstellten gesamtwirtschaftlichen Projektionen vom Juni 2016 sind die Aussichten für die Teuerung nach dem HVPI weitgehend unverändert geblieben.

Was die monetäre Analyse betrifft, so verzeichnete die weit gefasste Geldmenge (M3) im Juli 2016 weiterhin ein robustes Wachstum; ihre Jahreswachstumsrate lag bei 4,8 %, verglichen mit 5,0 % im Juni. Wie bereits in den Vormonaten wurde der jährliche Zuwachs von M3 hauptsächlich durch die liquidesten Komponenten der weit gefassten Geldmenge gestützt; so belief sich die Jahreswachstumsrate des eng gefassten Geldmengenaggregats M1 im Juli auf 8,4 % nach 8,7 % im Juni.

Die Kreditdynamik setzte ihre seit Jahresbeginn 2014 verzeichnete allmähliche Erholung fort. Die Jahresänderungsrate der Buchkredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften erhöhte sich von 1,7 % im Juni auf 1,9 % im Juli 2016. Die jährliche Zuwachsrate der Buchkredite an private Haushalte blieb im Juli mit 1,8 % stabil. In der Entwicklung der Bankkredite kommen nach wie vor deren verzögerte Reaktion auf den Konjunkturzyklus, das Kreditrisiko sowie die anhaltenden Bilanzanpassungen im finanziellen und nichtfinanziellen Sektor zum Ausdruck, doch die seit Juni 2014 ergriffenen geldpolitischen Maßnahmen wirken zunehmend positiv auf die Kreditbedingungen für Unternehmen und private Haushalte und somit auf die Kreditströme im gesamten Euroraum durch.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Gegenprüfung der Ergebnisse der wirtschaftlichen Analyse anhand der Signale aus der monetären Analyse die Notwendigkeit bestätigte, das beträchtliche Maß an geldpolitischer Unterstützung beizubehalten, das erforderlich ist, um eine möglichst baldige Rückkehr der Inflationsraten auf ein Niveau von unter, aber nahe 2 % sicherzustellen.

Die Geldpolitik konzentriert sich auf die Gewährleistung von Preisstabilität auf mittlere Sicht. Ihr akkommodierender Kurs stützt die Konjunktur. Der EZB-Rat hat mehrfach darauf hingewiesen und auch in der politischen Diskussion auf europäischer und internationaler Ebene ist deutlich zum Ausdruck gekommen: Andere Politikbereiche müssen sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene wesentlich entschlossener dazu beitragen, dass unsere geldpolitischen Maßnahmen ihre volle Wirkung entfalten können. Die Umsetzung von Strukturreformen muss deutlich intensiviert werden, um die strukturelle Arbeitslosigkeit zu verringern und das Wachstum des Produktionspotenzials im Euroraum zu steigern. Strukturreformen sind in allen Ländern des Euroraums notwendig. Der Schwerpunkt sollte auf Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität und Verbesserung des Geschäftsumfelds liegen, einschließlich der Bereitstellung einer adäquaten öffentlichen Infrastruktur. Diese Maßnahmen sind für die Förderung von Investitionen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze unabdingbar. Die Stärkung aktueller Investitionsinitiativen, einschließlich der Verlängerung des Juncker-Plans, Fortschritte im Zusammenhang mit der Kapitalmarktunion und Reformen für eine bessere Abwicklung notleidender Kredite werden mit Blick auf dieses Ziel ebenfalls einen positiven Beitrag leisten. Vor dem Hintergrund einer akkommodierenden geldpolitischen Ausrichtung wird die rasche und effektive Umsetzung von Strukturreformen nicht nur zu einem kräftigeren nachhaltigen Wirtschaftswachstum im Euroraum führen, sondern auch die Widerstandsfähigkeit des Eurogebiets gegenüber globalen Schocks steigern. Die Finanzpolitik sollte die wirtschaftliche Erholung ebenfalls stützen, ohne dass dabei gegen Fiskalregeln der EU verstoßen wird. Eine im Zeitverlauf und länderübergreifend vollständige und einheitliche Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts bleibt unerlässlich, um das Vertrauen in den finanzpolitischen Rahmen zu sichern. Gleichzeitig sollten alle Länder eine wachstumsfreundlichere Ausgestaltung ihrer finanzpolitischen Maßnahmen anstreben.

Wir sind nun gerne bereit, Ihre Fragen zu beantworten.

Der Wortlaut, auf den sich der EZB-Rat verständigt hat, ist der englischen Originalfassung zu entnehmen.

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