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Zwischen den Stühlen? Kleine und mittelgroße Banken und europäische Aufsicht

Rede von Sabine Lautenschläger, Mitglied des Direktoriums der EZB und stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsgremiums des einheitlichen Aufsichtsmechanismus,
Bankenabend der Hauptverwaltung in Baden-Württemberg der Deutschen Bundesbank, Stuttgart, 22. Februar 2016

Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Herr Sibold,

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr, heute Abend hier in Stuttgart zu sein. Zum einem freue ich mich, weil ich damit ein Versprechen einlösen kann, das ich Herrn Sibold gegeben habe als ich noch Vizepräsidentin der Bundesbank war.

Zum anderem freue ich mich, weil ich im Anschluss an meine Rede mit Ihnen diskutieren kann. Ich hoffe auf eine lebhafte Diskussion über Ihre Erwartungen an die europäische Bankenaufsicht.

Und ich hoffe, dass ich einige Fragen beantworten und Missverständnisse klären kann – zum Beispiel darüber, welche Aufgaben die europäische Aufsicht, der SSM, bei der Aufsicht über die kleinen und mittelgroßen Institute inne hat und welche er eben nicht hat und auch nicht haben möchte.

Lassen Sie mich gleich zu Anfang ein erstes Missverständnis aufklären.

Ja, der SSM beaufsichtigt kleine und mittelgroße Institute lediglich indirekt – und wir wollen diese Institute auch gar nicht direkt beaufsichtigen. Wenn ein einzelnes kleines oder mittelgroßes Institut scheitert, bedroht es im Regelfall weder die Stabilität des nationalen noch des europäischen Finanzmarktes; es muss daher nicht europäisch beaufsichtigt werden.

Lassen Sie mich die Rolle der kleinen und mittelgroßen Institute im Euro-Raum kurz in Perspektive setzen, bevor ich auf die größten Herausforderungen für diese Institutsgruppe eingehe.

Im Euro-Raum gibt es rund 3.300 Bankengruppen. Davon unterliegen 129 der direkten Aufsicht durch die EZB. Diese paar Banken werden wir heute Abend ignorieren und uns stattdessen den übrigen rund 3.200 Institutsgruppen widmen.

Und lassen Sie mich die größte Schwierigkeit dabei gleich zu Beginn ansprechen: die korrekte Bezeichnung dieser Institute. Offiziell werden sie als „weniger bedeutende Institute“ bezeichnet.

Denn obwohl sie eindeutig in der Überzahl sind, ist ihre Bilanzsumme vergleichsweise klein. Wenn wir die gesamte Bilanzsumme des Bankensystems im Euro-Raum betrachten, entfallen davon nur knapp 18% auf die „weniger bedeutenden Institute“.

Bedeutet dies nun, dass dieser Bankensektor und seine Dienstleistungen ganz und gar unbedeutend sind und deswegen keiner guten Aufsicht bedürfen? Mitnichten!

Diese 18% der Bilanzsumme des gesamten Bankensystems im Euro-Raum verteilen sich nicht gleichmäßig auf alle Länder, sondern konzentrieren sich im Wesentlichen auf drei: Deutschland, Österreich und Italien.

Diese drei Länder allein beherbergen vier Fünftel aller vermeintlich „weniger bedeutenden“ Institute. Deren Bilanzsumme beträgt in Österreich und Deutschland 80% der jährlichen Wirtschaftsleistung.

Und in Deutschland sind es gerade diese Institute, die den Mittelstand finanzieren, der wiederum das Rückgrat der Wirtschaft bildet. Insgesamt finanzieren die „weniger bedeutenden“ Institute in Deutschland 70% der regionalen Wirtschaft.

Deswegen wird hier auch nicht darüber diskutiert, ob diese Institute für die Realwirtschaft wichtig sind – jeder weiß es.

Und jeder weiß, dass die so genannten „weniger bedeutenden“ Institute durchaus bedeutend für die Stabilität des Bankensystems sein können – nicht für sich genommen, aber in Summe als Sparkassen- und Volksbankenverbund.

Das gilt vor allem, wenn man bedenkt, dass viele kleine und mittelgroße Institute im Euro-Raum Institutssicherungssystemen angehören und dadurch sehr eng miteinander verbunden sind – oft auch in Sicherungssystemen gemeinsam mit großen, systemrelevanten Banken. Ich komme später noch einmal auf dieses Thema zurück.

Meine Damen und Herren, ich werde den einen oder anderen hier jetzt enttäuschen müssen: Ich halte nichts davon, die „weniger bedeutenden“ Banken der Selbstregulierung zu überlassen oder auf eine Aufsicht zu setzen, die eher Totengräber als Bankenaufseher ist und lediglich auf die Abwicklungsfähigkeit achtet.

Und auch die von einigen propagierte Aufsicht über den Verbund statt einer Aufsicht über das Einzelinstitut ist keine Lösung, solange es an einer rechtlichen Grundlage fehlt und an Instrumenten für eine angemessene, effektive und effiziente Verbundaufsicht.

Aus all den eben genannten Gründen, und es gibt noch viele mehr, bedarf es für die „weniger bedeutenden“, üblicherweise regional verankerten Institute einer Aufsicht, die zum einem nationale Besonderheiten berücksichtigt und zum anderen hohe Qualitätsstandards erfüllt.

Denn Ziel ist es, mittel- und langfristig einen funktionierenden Bankensektor zu haben, der die Realwirtschaft mit den von ihr benötigten Dienstleistungen versorgt – und zu einem funktionierenden Bankensektor gehören gerade die kleinen und mittelgroßen Institute, das hat sich in der Finanzkrise deutlich gezeigt.

Basierend auf den Erfahrungen des letzten Jahres kann meines Erachtens eine indirekte Aufsicht, wie die EZB sie betreibt, großen Nutzen stiften – für die Banken, für ihre Kunden, für die Stabilität des nationalen Finanzplatzes und für die Realwirtschaft. Aber auch dazu komme ich später noch.

Kommen wir zurück zur Namensfindung für die sogenannten „weniger bedeutenden“ Institute. Wie also sollen wir sie nennen, diese 3.200 Banken?

Wie Ihnen vermutlich schon aufgefallen ist, habe ich mich für den Begriff „kleine und mittelgroße Institute“ entschieden – und dieser Entscheidung ging eine längere Diskussion voran.

Ich hoffe, diejenigen unter Ihnen, die eine kleine oder mittelgroße Bank vertreten, fühlen sich mit dieser Bezeichnung wohl; sie wird uns durch den Rest des Abends begleiten.

Das Problem der Bezeichnung ist damit gelöst und wir können uns etwas einfacheren Problemen widmen. Zwei Dinge werde ich in meiner Rede ansprechen.

  • Erstens, die Herausforderungen, vor denen die kleinen- und mittelgroßen Banken zurzeit stehen;
  • und zweitens, die Zusammenarbeit zwischen der EZB und der nationalen Behörden bei der Aufsicht über kleine und mittelgroße Banken.

Die Herausforderungen – Ertragsschwäche und Niedrigzinsen

Egal ob national oder europäisch, Aufseher interessieren sich immer für die Stabilität der Banken. Und die wichtigsten Bausteine einer stabilen Bank sind Eigenkapital, Liquidität und Profitabilität.

Das Eigenkapital dient als Puffer für Verluste – je höher es ist, desto mehr Verluste kann eine Bank verkraften, bevor sie umfällt. Wenn wir also die Stabilität einer Bank beurteilen wollen, sollten wir zunächst auf das Eigenkapital schauen.

Die Eigenkapitalquoten der kleinen und mittelgroßen Institute im Euro-Raum sind erfreulich. Die durchschnittliche Kernkapitalquote liegt bei 15,2%.

In Deutschland liegt die Kernkapitalquote dieser Institutsgruppe mit 14% zwar leicht unter dem Durchschnitt, aber immer noch deutlich über den regulatorischen Anforderungen. Das beruhigt mich als Bankenaufseherin!

Und wenn wir uns nun anschauen, wie sich die Kernkapitalquoten in letzter Zeit entwickelt haben, stellen wir noch etwas Erfreuliches fest: Sie sind stabil.

Das ist zunächst etwas überraschend, denn die Bilanzsumme der kleinen und mittelgroßen Banken ist leicht gestiegen, und das Eigenkapital leicht gesunken. Eigentlich hätte die Kernkapitalquote ebenfalls sinken müssen.

Die Tatsache, dass sie stabil geblieben ist, lässt sich damit erklären, dass der Risikogehalt der Bankbilanzen gesunken ist – denn auf dessen Basis werden die Kernkapitalquoten berechnet. Auch das sehe ich als Bankenaufseherin gern.

Was die Liquidität kleiner und mittelgroßer Institute in Deutschland angeht, muss ich gar nicht viel sagen. Es gibt nicht zu wenig, sondern eher zu viel Liquidität in Deutschland. Und diese Liquidität sucht Anlagen und Rendite.

Hohe Eigenkapital- und Liquiditätsquoten sind zunächst einmal gute Voraussetzungen für die Stabilität kleiner und mittelgroßer Institute. Es sind gute Voraussetzungen dafür, dass das Bankensystem in der Lage ist, ungünstige Marktbedingungen oder unerwartete Schocks zu verkraften – auch über längere Zeit hinweg.

Diese Voraussetzungen zu erfüllen ist wichtig, denn die kleinen und mittelgroßen Institute stehen vor einer Reihe von Herausforderungen und Risiken.

Die größte dieser Herausforderungen betrifft die Geschäftsmodelle und die Ertragskraft der Banken.

Es ist keine neue Erkenntnis, dass manche Banken im Euro-Raum an einer Ertragsschwäche leiden. Und das tun sie nicht erst seit der Niedrigzinsphase, sondern schon vorher – auch manche der kleinen und mittelgroßen Institute.

Denn in einigen Ländern tobt zwischen den Banken ein unerbittlicher Wettbewerb um Kunden – ein Wettbewerb, der ungesund ist, wenn Risiken und Sicherheiten nicht richtig eingepreist werden. Im Jahr 2014 lag die Eigenkapitalrendite der Banken bei knapp über 3% und damit deutlich unterhalb dessen, was Marktteilnehmer als nachhaltig ansehen würden.

Aber es geht nicht allein um beispielsweise die Frage, ob es genug Mittelstand und Privatkundengeschäft für die rund 1.650 Bankengruppen in Deutschland gibt.

Die anhaltende Phase sehr niedriger Zinsen trägt natürlich nicht dazu bei, diese Ertragsschwäche zu heilen – im Gegenteil. Die allermeisten kleinen und mittelgroßen Institute betreiben ein traditionelles Geschäftsmodell, das sehr zinsabhängig ist – entsprechend sind sie oft stärker betroffen als größere Banken.

Gleichzeitig sind solche Institute stärker von den niedrigen Zinsen betroffen, die vor allem an Privatkunden Kredite vergeben. Nicht überraschen dürfte, dass Banken, die vor allem festverzinste Kredite vergeben, die niedrigen Zinsen bisher vergleichsweise gut verkraftet haben.

Aber Ihnen muss ich nicht sagen, dass gerade auf diese Banken Belastungen zukommen, sobald die hoch- und festverzinsten Kredite und Anlagen auslaufen und durch niedriger verzinste ersetzt werden müssen. Gleichzeitig werden diese Banken länger unter den niedrigen Zinsen leiden als Banken, die vor allem variabel verzinste Kredite vergeben – letztere profitieren rascher, wenn die Zinsen wieder steigen.

Um ihre Ertragskraft zu sichern, müssen die kleinen und mittelgroßen Institute also ihr Geschäftsmodell auf Effizienz überprüfen – und das lieber früher als später.

Ich werde an dieser Stelle keine detaillierten geschäftspolitischen Ratschläge geben – Aufseher sind nicht die besseren Banker. Ganz grundsätzlich aber haben Banken zwei Möglichkeiten: Entweder sie erhöhen ihre Erträge oder sie senken ihre Kosten.

Schauen wir zunächst auf die Ertragsseite. Hier liegt es nahe, neue Ertragsquellen zu erschließen, die weniger zinsabhängig sind – zum Beispiel das Provisionsgeschäft.

Eine Umfrage von BaFin und Bundesbank unter deutschen Instituten hat in der Tat ergeben, dass mehr als die Hälfte der befragten Institute das Gewicht der Provisionserträge bereits erhöht hat.

Auf der Kostenseite haben gerade die deutschen Institute Potenzial für Einsparungen. Im europäischen Vergleich ist ihre Kosteneffizienz relativ gering. Hinter jedem Euro Ertrag stehen bei ihnen fast 70 Cent an Kosten – in anderen Ländern sind es nur 50 Cent.

Die Lösung muss jedoch nicht unbedingt darin bestehen, kleine Institute so lange zu fusionieren bis ein großes und systemrelevantes Institut dabei herauskommt.

Im Gegenteil: „Klein, aber fein“ ist eine gute, wenn nicht gar die bessere Alternative – sofern „klein“ ein langfristig tragfähiges Geschäftsmodell hat.

Um Skaleneffekte zu realisieren, können Banken auch bestimmte Bereiche zentralisieren – zum Beispiel das Meldewesen, die Abwicklung von Geschäften oder Teile des Risikomanagements. Gerade die Sparkassen und Genossenschaftsbanken haben hier ja bereits Erfahrungen.

Welchen Weg auch immer die Institute wählen, wichtig ist, dass sie die eingegangenen Risiken im Griff haben.

Es ist offensichtlich, dass die Banken es im Moment nicht leicht haben: Sie müssen in Zeiten niedriger Zinsen und harten Wettbewerbs ihre Erträge steigern, dürfen dabei aber keine übermäßigen Risiken eingehen.

Vielen mag das wie die Quadratur des Kreises vorkommen. Mir kommt es eher vor wie ein System mathematischer Gleichungen mit vielen Unbekannten – kompliziert, aber nicht unlösbar.

Es gibt Wege, das eigene Geschäft zu beleben – auch ohne übermäßige Risiken einzugehen. So eröffnet zum Beispiel die Digitalisierung neue Wege, die einige aufgeweckte Manager bereits beschreiten – sei es, um neue Ertragsquellen oder Vertriebswege zu erschließen, sei es, um Kosten zu senken.

Denken Sie zum Beispiel an Online-Banking über das Smartphone oder die Kundenberatung per Videokonferenz. Die Digitalisierung bietet auch den kleinen und mittelgroßen Instituten Chancen. Die Kunst wird für diese Institute darin bestehen, innovativ zu sein, ohne ihre Wurzeln zu verlieren.

Meine Damen und Herren, Geschäftsmodelle und Ertragskraft sind zurzeit die größten Herausforderungen für den Bankensektor – sie sind aber nicht die einzigen.

So sind die Geschäfte kleiner und mittelgroßer Institute oft sehr konzentriert – auf bestimmte Sektoren oder Regionen. Das liegt in der Natur eines regional tätigen, kleinen oder mittelgroßen Instituts, erzeugt aber auch eine Abhängigkeit, die verwundbar macht.

Umso wichtiger ist es, diese Konzentrationsrisiken im Risikomanagement zu berücksichtigen – vor allem im qualitativen Bereich. Wenn es vor Konzentrationsrisiken kein Entkommen gibt, dann wird das Prinzip des „know your customer“ immer wichtiger.

Und genau da haben gerade die kleinen und mittelgroßen Institute ihre Stärke. Sie kennen das Risikoprofil des einzelnen Kreditnehmers ebenso wie den Wert seiner Sicherheiten. Und Sie kennen die regionalen Märkte und deren Entwicklungsmöglichkeiten.

All das muss für das bankeigene Risikomanagement genutzt werden und fortlaufend in die Entscheidungen der Bank einfließen, um ihr Gedeihen und ihr Überleben sicherzustellen.

Es wird Sie nicht verwundern, dass für mich als Vertreterin des SSM bei den kleineren und mittelgroßen Instituten nicht allein die Themen Geschäftsmodelle, Ertragskraft und Konzentrationsrisiken wichtig sind. Als SSM müssen wir uns auch immer fragen, wie wir die Kollegen bei der nationalen Aufsicht unterstützen können.

Die Aufsicht – Rollenverteilung zwischen EZB und nationalen Aufsehern

Kommen wir also zu der Rollenverteilung, die wir seit November 2014 bei der Aufsicht über die kleinen und mittelgroßen Institute im Euro-Raum haben.

Denn wie Sie wissen, sind innerhalb der europäischen Bankenaufsicht für die kleinen und mittelgroßen Institute die nationalen Aufseher zuständig – in Deutschland also die BaFin und die Bundesbank.

Die EZB hat bei den kleinen und mittelgroßen Banken nur eine indirekte Rolle in der Aufsicht inne – ihre Ansprechpartner sind nicht die Institute selbst, sondern die nationalen Aufseher. Direkten Kontakt zwischen der EZB und den Instituten gibt es nur in Ausnahmefällen – zum Beispiel, wenn es darum geht, Banklizenzen zu vergeben oder zu entziehen.

Dieser indirekte Ansatz spiegelt zwei wichtige Prinzipien der europäischen Bankenaufsicht wider: Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. Die meisten kleinen und mittelgroßen Institute haben regional ausgerichtete und relativ risikoarme Geschäftsmodelle – eine unmittelbare europäische Aufsicht ist hier im Regelfall nicht notwendig.

Was aber ist nun der Beitrag des SSM, was ist der Beitrag der europäischen Aufsicht? Die Aufgabe des SSM ist es, die nationalen Aufseher im Hintergrund zu unterstützen.

Wir entwickeln zusammen mit den nationalen Aufsehern qualitativ hochwertige und anpassungsfähige Standards und Instrumente für eine risikoorientierte Aufsicht, die regionale Aspekte sowie Größe, Geschäft und Risiko des Institutes berücksichtigen kann.

Zu dieser indirekten Aufsicht gehört zum Beispiel, sich mit den nationalen Aufsehern auf die Kernanforderungen an einen Sanierungsplan bei kleineren und mittelgroßen Instituten zu einigen.

Dazu gehört auch, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, ob es auch bei diesen Instituten vor-Ort-Prüfungen und vor-Ort-Gespräche gibt, ob sich die Intensität der Aufsicht am Risikoprofil der einzelnen Bank orientiert, und ob die nationalen Aufseher in ihren Risikoanalysen makroökonomische Entwicklungen berücksichtigen.

Doch lassen Sie mich eins klarstellen: Wir betreiben keine Gleichmacherei, indem wir nationale Aufsichtsansätze durch einen europäischen ersetzen. Wir sorgen vielmehr dafür, dass die Kernelemente der Aufsicht bestimmten Mindeststandards entsprechen.

Damit können nationale Besonderheiten berücksichtigt werden – allerdings nur dann, wenn diese Besonderheiten unter Risikogesichtspunkten gerechtfertigt sind. Da sind wir uns bestimmt alle einig.

Die indirekte Aufsicht über kleine und mittelgroße Institute nach diesem Modell auszugestalten, stellt zwei Dinge sicher:

  • Erstens stellt sie sicher, dass das Prinzip einer dem Risiko und Größe des Instituts angepassten Aufsicht gewahrt ist.
  • Zweitens stellt sie sicher, dass das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, vollständig erhalten bleibt. Denn es bleibt dem jeweiligen Aufseher überlassen, die Instrumente der Aufsicht risikoorientiert und verhältnismäßig anzuwenden.

Kleine und mittelgroße Institute unterliegen der europäischen Bankenaufsicht also mittelbar. Dennoch profitieren sie von ihr ganz unmittelbar.

Denn Ziel der indirekten Aufsicht ist es, zur Stabilität nationaler Finanzmärkte beizutragen und so der Bedeutung und den Besonderheiten des Sektors der kleinen und mittelgroßen Institute gerecht zu werden.

Die europäische Bankenaufsicht hat einen viel breiteren Blick als die nationalen Aufseher. Die EZB kann in alle Länder des Euro-Raums blicken und teilt ihre Erkenntnisse mit den nationalen Aufsehern.

Manch ein nationaler Aufseher mag sich dank der neuen Erkenntnisse bereits entschlossen haben, das eine oder andere Institut etwas intensiver zu beaufsichtigen.

Umgekehrt erhält die EZB von den nationalen Aufsehern wichtige Einblicke in kleine und mittelgroße Institute. Gerade die letzten Monaten haben bestätigt, dass es erhebliche Ansteckungseffekte innerhalb eines Bankensystems geben kann.

Vor diesem Hintergrund ist es für die EZB sehr wichtig, ein Bankensystem als Ganzes zu erfassen und zu verstehen. Hiervon profitiert auch die Aufsicht über die großen, direkt beaufsichtigen Institute.

Die europäische Aufsicht kann genau deshalb künftigen Krisen besser vorbeugen; das hilft auch den kleinen und mittelgroßen Instituten.

Denn Finanzkrisen schaden immer auch der Realwirtschaft – und die ist entscheidend für kleine und mittelgroße Institute.

Die europäische Aufsicht wird aus den genannten Gründen auch zu dem Vertrauen beitragen, das Kunden und Investoren in den Bankensektor haben.

Und auch das hilft den kleinen und mittelgroßen Instituten. Denn Vertrauen ist die Grundlage des Bankgeschäfts – ganz unabhängig von der Größe einer Bank.

Die Zukunft – Offene Fragen bei der Aufsicht über kleine und mittelgroße Institute

Meine Damen und Herren, die europäische Bankenaufsicht ist kaum anderthalb Jahre alt. In dieser Zeit haben wir auch mit Blick auf die kleinen und mittelgroßen Institute einiges erreicht.

In enger Abstimmung mit den nationalen Aufsehern haben wir einige gemeinsame Standards und Methoden festgelegt – oft gibt es auch ein Angebot an verschiedenen Methoden und Standards, aus denen die nationalen Aufseher wählen können.

Wir sind also dem Ziel näher gekommen, ein stabileres Bankensystem zu schaffen. Dennoch gibt es eine Reihe offener Fragen.

Dazu gehört ein Meldewesen, das ein Minimum an Daten bietet. Ganz allgemein ist das Meldewesen ein Thema, das zurzeit die Gemüter bewegt – nicht nur wegen AnaCredit. Und es ist ein Thema, bei dem noch einige Missverständnisse aus dem Weg geschafft werden können.

Im Kielwasser der Finanzkrise ist der Informationsbedarf der Bankenaufsicht deutlich gestiegen – das ist wahr. Die Krise hat sehr deutlich gezeigt, dass das deutsche Meldewesen noch nicht einmal das notwendige Minimum abdeckt.

So enthielten die regulär einzureichenden Meldungen keinerlei Informationen über Länderrisiken – inwiefern beispielsweise die Institute von der Entwicklung in Griechenland oder den USA abhingen.

Die dann notwendigen ad hoc Anfragen waren teuer – für die Banken und die Bankenaufsicht.

Nur eine angemessene Verfügbarkeit von Daten erlaubt eine vernünftige Analyse der Risiken und eine effektive Aufsicht. Der zunehmende Bedarf an Daten betrifft natürlich auch die kleinen und mittelgroßen Institute.

Natürlich müssen und werden bei der Erhebung von Daten immer Kosten und Nutzen gegeneinander abgewogen. Das verlangt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit.

Um die Risiken einer kleinen oder mittelgroßen Bank zu analysieren, braucht und verlangt die Aufsicht weniger Daten; um die Risiken einer großen und internationalen Bank zu analysieren, braucht und verlangt die Aufsicht mehr Daten.

Entsprechend orientieren sich die Anforderungen des Meldewesens unter anderem an der Größe der Institute.

Ein Beispiel: Im Vorgriff auf künftige Berichtspflichten haben wir die nationalen Aufseher im vergangenen Jahr gebeten, uns erstmals für alle kleinen und mittelgroßen Banken aufsichtliche Daten zu liefern. Dabei wurden 37 einzelne Informationen abgefragt, darunter die Bilanzsumme, die Höhe der Kundeneinlagen oder der Bestand des Handelsbuches – keine komplizierten Dinge also.

Bei den direkt von der EZB beaufsichtigten Banken werden dagegen mehr als 8.000 Informationen abgefragt – und diese müssen nicht jährlich, sondern vierteljährlich zur Verfügung gestellt werden.

Bei unseren Abfragen halten wir uns natürlich an die Vorgaben der European Banking Authority.

Bei der indirekten Aufsicht geht es aber nicht um mehr Meldungen. Entscheidend ist vielmehr, dass die im SSM gesammelten Erfahrungen für die Aufsicht über die kleinen und mittelgroßen Banken genutzt werden.

So arbeiten wir derzeit an einen Konzept für den so genannten aufsichtlichen Evaluierungs- und Überprüfungsprozess, den SREP. Der SREP ist das wichtigste Werkzeug der Bankenaufsicht: Für jedes einzelne Institut analysieren die Aufseher das Geschäftsmodell, die Governance sowie die Risiken für Eigenkapital und Liquidität. Auf dieser Grundlage legen nationale Aufseher dann für jedes einzelne Institut fest, wie viel Eigenkapital es halten muss.

Für die großen Banken im Euro-Raum ist der SREP im vergangenen Jahr zum ersten Mal nach einer einheitlichen Methode durchgeführt worden - ein wichtiger Schritt hin zu einer echten europäischen Aufsicht. Für kleine und mittelgroße Institute werden die nationalen Aufseher vermutlich ab 2018 eine einfache, die Eckdaten umfassende Methode anwenden.

Was für die kleinen und mittelgroßen Institute ebenfalls eine wichtige Rolle spielt, sind die Systeme der Institutssicherung. Mehr als die Hälfte aller Banken im Euro-Raum ist Mitglied in einem Institutssicherungssystem – große Banken ebenso wie kleine und mittelgroße Institute.

In Deutschland gehören vier von fünf Instituten einem solchen Sicherungssystem an – gemessen an der Bilanzsumme sind das 40% des deutschen Bankensystems. Die Systeme der Institutssicherung sind also durchaus relevant für die Stabilität des Bankensystems.

Doch für die Aufsicht sind sie noch aus einem anderen Grund bedeutend. Nach europäischem Recht, genauer nach der Kapitaladäquanzverordnung, können Banken bestimmte Privilegien gewährt werden, wenn sie einem Sicherungssystem angehören.

So müssen zum Beispiel Institute ihre Forderungen gegenüber anderen Mitgliedern des Sicherungssystems nicht notwendigerweise mit Eigenkapital unterlegen. Ob ein solches Privileg gewährt wird, entscheidet der zuständige Aufseher – bei kleinen und mittelgroßen Instituten der nationale Aufseher, bei großen Banken die EZB.

Es spricht also einiges dafür, die Privilegien nach einheitlichen Kriterien zu gewähren – sowohl länderübergreifend als auch institutsübergreifend.

Um eines aber klar zu machen: Es ist nicht das Ziel, die Sicherungssysteme im Allgemeinen in Frage zu stellen. Ziel ist es, die aufsichtsrechtliche Behandlung der Systeme anzugleichen. Deshalb haben wir entsprechende Kriterien definiert und führen derzeit eine öffentliche Konsultation durch, die noch bis Mitte April läuft.

Schluss

Meine Damen und Herren,

begonnen habe ich meine Rede mit der Feststellung, dass der Begriff „weniger bedeutende“ Institute für die Gruppe der kleinen und mittelgroßen Banken nicht gerechtfertigt ist.

Wegen der Bedeutung und den Besonderheiten dieses Bankensektors halte ich eine indirekte europäische Aufsicht für notwendig und angemessen. Und ich halte die Arbeitsaufteilung, die seit November 2014 besteht, auch für klar und eindeutig.

Kleine und mittelgroße Institute erfüllen im Wesentlichen die idealtypische Funktion des Finanzsystems: sie finanzieren die Realwirtschaft. Dieses traditionelle Geschäftsmodell wird allerdings herausgefordert – zurzeit auch durch langsames Wirtschaftswachstum, schwache Investitionen und anhaltend niedriger Zinsen.

In manchen Ländern leiden viele Banken seit langem zusätzlich noch an einem unerbittlichen Wettbewerb um zu wenig Kunden für eine große Zahl an Banken.

Zwar verfügen gerade die deutschen Institute über einige Reserven, ihre Kunden sind in der Regel solvent und liquide, die Quote notleidender Kredite entsprechend niedrig. Als Aufseherin bin ich daher nicht unmittelbar beunruhigt.

Dennoch sollten auch diese Institute nicht versuchen, einfach den Atem anzuhalten bis sie wieder aus der Niedrigzinsphase auftauchen können. Dabei könnte ihnen die Luft ausgehen.

Die kleinen und mittelgroßen Institute werden nicht darum herumkommen, ihre Geschäftsmodelle auf Effizienz zu überprüfen, auch in den Kleinigkeiten – und das lieber früher als später.

Die kleinen und mittelgroßen Institute unterliegen der nationalen Aufsicht; und trotzdem erfüllt die europäische Aufsicht auch hier eine wichtige Funktion – aber eben mittelbar durch ihre Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden.

Sie profitieren von der europäischen Aufsicht aber ganz unmittelbar: Das Vertrauen in den Bankensektor steigt, die Informationsgrundlage der Aufsicht wird breiter, die Wahrscheinlichkeit von Krisen sinkt und der Wettbewerb wird fairer.

Nach anderthalb Jahren europäischer Aufsicht hat sich auch für die kleinen und mittelgroßen Institute einiges verändert. Die Anforderungen des Meldewesens sind höher, der aufsichtliche Evaluierungs- und Überprüfungsprozess wird harmonisiert und die aufsichtliche Behandlung der Institutssicherung wird vereinheitlicht.

Die EZB und die nationalen Aufseher arbeiten gemeinsam daran, diese Veränderungen umzusetzen.

Das Ziel ist eine bestmögliche Aufsicht, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt, nationale Besonderheiten angemessen berücksichtigt und der besonderen Bedeutung dieses Bankensektors für die Stabilität der nationalen Finanzmärkte Rechnung trägt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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