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Monitoring, Regulierung, Selbstregulierung des europäischen Bankensektors

21. April 2015

Sabine Lautenschläger, Mitglied des Direktoriums der EZB und stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsgremiums des einheitlichen Aufsichtsmechanismus,
Deutsches Aktieninstitut in Frankfurt am Main, 21. April 2015

1. Einleitung

Lieber Herr Baumann, lieber Herr Engels,

sehr geehrte Damen und Herren,

mein heutiges Thema „Monitoring, Regulierung und Selbstregulierung des europäischen Bankensektors“ lässt sich in 2015 nicht diskutieren, ohne sich Folgendes zu fragen:

Müssen wir noch etwas tun, um sicherzustellen, dass wir nie wieder eine Finanzmarkt- und Bankenkrise wie die in 2008/2009 erleben müssen – oder – haben wir zu viel getan und damit der europäischen Kreditwirtschaft die Fähigkeit genommen, Finanzdienstleistungen für die Realwirtschaft anbieten zu können?

Nach einer langen Phase der Deregulierung ist seit 2009 eine umfassende Re-Regulierung en vogue. Wir haben global, europäisch oder national fast alles angefasst, was Risiken in und Risiken durch Banken begrenzen, abmildern oder vermeiden kann. Die Öffentlichkeit, die Politik, akademische Kreise, der Aufseher, auch Banker - alle - verlangten nach umfassenden, harten Vorschriften für Banken und deren engmaschiger Überwachung. Doch seit einem Jahr scheint sich die Stimmung zu drehen. In Deutschland, in Europa mehren sich die Stimmen derjenigen, die eine Überregulierung beklagen. Im europäischen Ausland werden die Begriffe „Kreditklemme“ und „Regulierung“ miteinander in Verbindung gebracht.

Viele sehnen sich nach einer Regulierungspause, möchten vielleicht das eine oder andere lieber der Regulierung durch den Markt – der Selbstregulierung – überlassen.

Wir sind derzeit in Europa weit von einer Selbstregulierung entfernt. Und ich hoffe, dass das auch so bleiben wird – auch wenn der Mensch schlechte Erinnerungen gern schnell vergessen will. Ich glaube nicht an Selbstregulierung, zumindest nicht im Bereich der Finanzmärkte. Stabile und funktionsfähige Banken gibt es nicht ohne umfassende Regulierung und tatkräftige Aufsicht. Für einen dauerhaft stabilen Bankensektor benötigen wir ein Regulierungswerk, das mit der Innovationsfreude der Finanzbranche, mit dem Fortschritt im Bankgeschäft Schritt halten kann und doch ausreichend Schranken setzt, um krankhafte Tendenzen und übermäßige Risiken in der Geschäftstätigkeit zu entdecken und abzustellen; dazu muss das Regelwerk anpassungsfähig sein und so für einen cleveren Aufseher mit gutem Urteilsvermögen Beurteilungs- und Handlungsspielraum bieten.

2. Rückblick

Die Vergangenheit spricht eine deutliche Sprache. „Light touch“ bei Regulierung und Aufsicht oder gar Selbstregulierung hat sich nicht als überzeugende Lösung empfohlen. Globale Finanzmärkte waren im Verlauf der vergangenen zwei Jahrzehnte von einer starken Volatilität, einer Abfolge von rasanten Aufschwüngen, großen Umwälzungen und starken Einbrüchen gekennzeichnet. Dabei sind die Asienkrise 1997, die Dotcom-Blase 1997 – 2000, die US-Subprime-Krise ab 2007 und die Europäische Schuldenkrise nur die prominentesten Beispiele. Bei all diesen Ereignissen zeigt sich ein wiederkehrendes Muster: Auf eine real- oder finanzwirtschaftliche Innovation oder Deregulierungsmaßnahme folgt beschleunigtes Wachstum, das mit einer sehr expansiven Kreditvergabepolitik der Banken einhergeht.

Früher oder später endet der Boom und es erfolgt eine Preiskorrektur, die dann oftmals in eine Rezession mündet. Je stärker der Boom am Anfang des Zyklus ausfällt, desto größer sind in der Regel die Folgeschäden für Wirtschaft und Gesellschaft.

Dieses Muster wird oft durch einen weiteren Umstand ergänzt: Nicht nur, aber besonders im Finanzsektor – einem Sektor mit hartem Wettbewerb zwischen regulierten und nicht regulierten Finanzmarktteilnehmern - werden bestehende Regulierungslücken aktiv ausgenutzt, um sich Wettbewerbs- oder anderweitige Vorteile zu sichern. Dies lässt sich gut am Beispiel von forderungsbesicherten Wertpapieren, den ABS, verdeutlichen. Ab Mitte der 90er Jahre wurden das Originate-to-distribute-Modell, also die Verbriefung und der Weiterverkauf von Krediten von vielen als das Finanzierungsmodell der Zukunft gesehen – nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und Deutschland. Viele sahen darin eine Lösung wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Probleme und ergriffen Maßnahmen, um ABS-Finanzierungen regulatorisch zu begünstigen. So konnten Banken zum Beispiel ihre ABS-Finanzierungsvehikel allein mit kurzfristigen Liquiditätslinien, den so genannten bis auf weiteres-Linien (b.a.W.-Linien) finanzieren. Eine Eigenkapitalunterlegung der „Kredite“ an die Vehikel war nicht erforderlich, solange die Laufzeiten der jeweiligen Kreditzusagen unter einem Jahr blieben. Entsprechend wurde es unter den Banken bald gängige Praxis, die Laufzeit solcher Linien auf 364 Tage zu begrenzen und diese bei Fälligkeit entsprechend zu prolongieren. Die Konsequenz dieser Praxis zeigte sich zu Beginn der Subprime-Krise im Jahr 2007, als deutsche Institute mit zu den ersten gehörten, die wegen dieser Kredit-Linien in Schwierigkeiten gerieten.

  • Die Vergangenheit zeigt also, dass Finanzmärkte sich nicht immer rational verhalten. Vielmehr neigen Märkte mehr noch als Einzelpersonen zu Übertreibungen; massenpsychologische Phänomene haben erheblichen Einfluss auf die Preisfindung.

  • Angesichts des Schadenpotenzials von Fehlentwicklungen und der Anreize, denen die Akteure ausgesetzt sind, liegt es auf der Hand, dass Selbstregulierung allein im Bereich der Finanzmärkte nicht ausreicht.

3. Anforderungen an Regulierung und Aufsicht

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welcher Regulierungs- bzw. Aufsichtsansatz für ein modernes Finanzsystem der richtige ist. Sollte man die Finanzmärkte einer allumfassenden Regulierung unterwerfen, die jede Aktivität bis ins kleinste Detail regelt? Ich meine nein. Denn dies würde ebenfalls zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis führen. Abhängig von seiner Ausgestaltung wäre ein solches Regelwerk entweder laufend veraltet und lückenhaft, da der Gesetzgeber bei einer detailversessenen Regulierung mit der hohen Innovationsgeschwindigkeit innerhalb der Finanzbranche nicht Schritt halten kann. Oder er müsse so rigide regulieren, dass er die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems übermäßig einschränken würde. Wie so oft liegt die sinnvollste Option liegt in der Mitte: Wir benötigen ein auf Prinzipien basierendes Regulierungswerk, das sich den verändernden Bankgeschäften anpasst, und wir brauchen einen handlungsfähigen Aufseher. Lassen Sie mich dies näher erläutern:

  • Gute Regulierung muss anpassungsfähig sein – sie muss auf verschiedene Geschäftsmodelle ebenso anwendbar sein wie auf unterschiedliche Institutsgrößen – sie muss auf große wie auch kleine Institute passen! Gute Regulierung muss sich an ändernde Sachverhalte anpassen, ohne dass der Gesetzgeber ständig nachbessern muss. Entsprechend müssen die Regeln Beurteilungs- und Ermessensspielräume für den Einzelfall bereitstellen.

  • Gute Regulierung muss aber auch ein Mindestmaß an Planungs- und Rechtssicherheit für die Institute gewährleisten; nur so können Banken funktionsfähig sein und dauerhaft ihre Finanzdienstleistungen erbringen. Dies gilt insbesondere hier in Europa, wo Banken im Vergleich zum Kapitalmarkt eine größere Bedeutung in der Finanzierung der Realwirtschaft haben. Gleichzeitig muss es ein global geltendes Verständnis zu Regulierung geben, da sich Regulierung angesichts der globalen Vernetzung der Finanzmärkte andernfalls leicht aushebeln ließe und ein fairer Wettbewerb nur bei gleichen Spielregeln sichergestellt werden kann.

  • Regulierung und auch Aufsicht muss – davon bin ich weiterhin überzeugt – risikosensitiv sein. Das heißt, dass die Bank, die größere Risiken eingeht und eine größere Gefahr für die Finanzstabilität mit sich bringt, auch härteren Regeln bzw. Begrenzungen in ihrer Geschäftstätigkeit ausgesetzt sein muss. Würde unser Gesamtregelwerk unterschiedliche Risikoprofile gleich behandeln, dann würden wir konservatives, risikoarmes Bankgeschäft mit geringeren Erträgen denselben Belastungen wie risiko-reiche Geschäftsaktivitäten aussetzen und damit unwirtschaftlich machen. Eine für mich falsche Anreizstruktur.

  • Wir benötigen einen ausgefuchsten Aufseher, der die Einhaltung der Regeln überwacht und die Institute konsistent, hart aber fair beaufsichtigt. Ausgefuchst deshalb, weil er die Beurteilungs- und Ermessensspielräume in der Regulierung richtig einsetzen und dabei von Fall zu Fall zwischen verschiedenen Argumenten abwägen können muss. In dieser Rolle muss die Aufsicht länderübergreifend agieren können, denn nur so lässt sich sicherstellen, dass auch große, international tätige Institute einer einheitlichen und umfassenden Kontrolle unterliegen.

  • Das sind hohe Ansprüche, die wir nur bei einer konsequenten Ausrichtung auf das eigentliche Ziel von Regulierung und Aufsicht – ein stabiles Finanzsystem - einlösen können. Deshalb möchte ich meine Aufzählung mit einer Warnung abschließen. In keinem Fall sollte Regulierung zur Wirtschaftsförderung missbraucht wird. Das verwischt Zuständigkeiten und verschiebt Aufgaben von der Politik auf die Aufsicht. Mit neuen Regeln für die Kreditwirtschaft gehen Belastungen einher. Mit einer Vielzahl an neuen Regeln kann die Summe an Belastungen die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft beeinträchtigen; das muss man berücksichtigen, dafür müssen Lösungen gefunden werden, aber nicht indem Risiken ignoriert werden. Die Vergangenheit hat uns oft genug gezeigt, dass es nichts bringt Risiken in den Instituten zu ignorieren; sie kommen mittel- und langfristig wie ein Bumerang zurück.

4. Aktueller Stand und weiterer Verbesserungsbedarf

Wo stehen wir nun in Europa im Vergleich zu diesen Anforderungen? Brauchen wir mehr Regulierung oder brauchen wir weniger? Seit 2009 ist der Regulierungsrahmen sowohl auf internationaler als auch auf europäischer Ebene umfangreich weiterentwickelt und entscheidend verbessert worden. Lassen Sie mich zur Erinnerung nur einige Komponenten auflisten:

  • Deutlich mehr und hochwertigeres Kapital für Banken,

  • Neue Standards für Liquiditätsbevorratung und Verschuldungsgrad in den Banken,

  • Deutliche höhere Anforderungen an Risikomanagement und Governance

  • Die Sanierungs- und Abwicklungsrichtline BRRD mit entscheidenden Fortschritten für den Umgang mit notleidenden Instituten,

Durch diese Reformen ist das regulatorische Netz innerhalb Europas in den letzten Jahren deutlich engmaschiger und ausgewogener geworden. Von einer rein kapitalbasierten Betrachtung hat es sich weiterentwickelt zu einem System diversifizierter Vorgaben. Dies erschwert die Umgehung einzelner Regelungen. Es erfordert, dass Banken bei der Gestaltung ihrer Geschäftsmodelle einen breiteren Kreis relevanter Einflussfaktoren (Kapital, Liquidität, Leverage, Vernetztheit / Systemrelevanz, Struktur) gebührend berücksichtigen.

Trotz dieser Fortschritte bleibt hier und dort noch etwas zu tun.

  • Wir müssen auf lange Sicht glaubwürdig die Verbindung zwischen einem Heimatstaat und seinen Banken schwächen. Staatsanleihen gelten aus regulatorischer Sicht nach wie vor als weitgehend risikolos: es gibt weder eine Pflicht risikoadäquat Kapital vorzuhalten, noch gibt es Regeln, die Konzentrationsrisiken adressieren. Das darf nicht sein.

  • Auch bei der Berechnung des Eigenkapitals in den einzelnen Instituten müssen wir nachbessern. Im Verlauf der letzten Jahre ist hier viel Vertrauen verloren gegangen. Interne Bank-Modelle werden heute von vielen als Mittel zu riskanter Kapitaloptimierung gesehen und nicht als sinnvolles Werkzeug der Banksteuerung und risikobasierter Aufsicht. Um das Vertrauen wiederherzustellen, benötigen wir weniger Komplexität und mehr Transparenz. Nicht jedes Portfolio oder Risiko kann modelliert werden. Für diese Portfolien müssen wir einfache, standardisierte Ansätze nutzen. Wir müssen die Komplexität der Modellansätze auf ein Maß reduzieren, das es den Kontrollgremien in den Banken und den Aufsehern erlaubt, diese in angemessener Zeit zu verstehen und zu überprüfen. Als Kontrollgröße und Indikator für die Kapitalersparnis sollten auch hier Standardansätze zum Einsatz kommen.

Bei der Vielzahl an regulatorischen Maßnahmen ist es wichtig, die Gesamtschau nicht aus den Augen zu verlieren. Deshalb werden wir den Gesamteffekt der regulatorischen Maßnahmen umfassend analysieren. Dieses Vorhaben wird im Baseler Ausschuss bereits geplant und vorbereitet. Eine solche Übung wird uns und der Debatte über Regulierung im Allgemeinen gut tun und zu ihrer Versachlichung beitragen. Ich erhoffe mir von dieser Arbeit nicht nur eine Liste, die Überschneidungen, Doppelungen und anderen Ineffizienzen aufzeigt und die wir dann im Nachgang ausräumen sollten. Sondern ich erwarte auch, dass wir unbeabsichtigte Auswirkungen der neuen Regeln adressieren werden.

Auch im Bereich der Aufsicht musste sich viel ändern. Die Krisen der vergangen Jahre sind nicht nur aufgrund von Schwächen des regulatorischen Rahmens entstanden. Auch die Aufsicht über die Banken hat nicht optimal funktioniert. Folge aus der Krise ist deshalb nicht nur, dass die Aufsicht über die Institute von nationaler Ebene im Euroraum auf eine europäische Ebene verlagert wurde. Die Aufsicht hat sich in ihrem Ansatz und in den Erwartungen, die sie an sich und die Institute stellt, verändert.

  • Der SSM ermöglicht uns einen Neustart in der Beziehung zu den Banken. Er bricht Traditionen und Gewohnheiten auf, die teilweise nicht mehr hinterfragt worden sind. Aufsichtsteams aus verschiedenen Nationen sehen die Banken mit frischem Blick und auf Basis ihrer gemeinsamen Erfahrungen. Dies schafft die für eine vernünftige Aufsicht notwendige kritische Distanz.

  • Bankenaufsicht in Europa soll hart, aber fair handeln (die Betonung liegt auf „handeln“). Die europäische Aufsicht, der SSM, sieht sich als Aufseher, der frühzeitig Risiken identifiziert und adressiert und damit seinen Beitrag zur Funktionsfähigkeit des Bankensystems leistet. „Light touch“ und reaktive Aufsicht sollen der Vergangenheit angehören.

  • Europäische Aufsicht soll für ein level playing field sorgen. Aus diesem Grund war ein einheitlicher Aufsichtsansatz mit einer einheitlichen Methodik für die Bewertung der Risiken von Kreditinstituten, ihrer Governance-Strukturen und ihrer Eigenkapital- und Liquiditätslage das erste, was wir im SSM entwickelt haben.

  • Insbesondere bei der Beaufsichtigung der systemisch relevanten und der großen, grenzüberschreitend tätigen Institute stellt der SSM einen Quantensprung dar. Der SSM gibt uns die Möglichkeit, Aufsicht über 19 Länder hinweg zu vergleichen und anzupassen, Best Practices zu identifizieren und ihre einheitliche Umsetzung durch eine effektive Qualitätssicherung zu gewährleisten. Es bieten sich gänzlich andere Möglichkeiten für vergleichende und sektorübergreifende Analysen als dies auf nationaler Ebene der Fall war. Für unsere Aufgabe können wir Informationen und Erkenntnisse von Banken mit unterschiedlichsten Geschäftsmodellen nutzen. Das versetzt uns in die Lage, Risiken oder Fehlentwicklungen früher oder eindeutiger zu identifizieren und entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Auch die Arbeiten rund um bankinterne Modelle, die entscheidenden Einfluss auf den Kapitalbedarf des Institutes haben, können wir nun auf eine ganz neue Grundlage stellen. Wir werden die Möglichkeit nutzen, mit verbesserter Daten- und Erkenntnislage strenge Regeln für die Zulassung und laufende Beaufsichtigung interner Modelle umzusetzen.

Trotz dieser Fortschritte bleibt auch in der Weiterentwicklung der Aufsicht noch vieles zu tun. Die Effektivität und Effizienz einer Aufsicht ist nicht nur, aber auch abhängig von der Rechtsgrundlage, die sie anwendet. Weiche, europäischen Standards oder divergierende nationale Regeln beeinträchtigen die Handlungsfähigkeit und die Effektivität des SSM. Und dies betrifft nicht nur nationale Regeln, die auf die Qualität des Eigenkapitals von Banken erheblichen Einfluss haben. Der SSM wendet 19 verschiedene nationale Rechtsgrundlagen an, und das nicht nur dann, wenn wir beispielsweise die fachliche Eignung von Geschäftsleitern in großen, international tätigen Banken prüfen. Detaillierte Vorschriften über Governance in den Banken oder Überlegungen, umfangreiche Regeln zu bankinternen Kontrollsysteme in nationales Recht zu überführen, erschweren oder verhindern gar das gewünschte Level Playing Field, die einheitliche Aufsicht; sie stärken die Fragmentierung. Zudem gibt es im europäischen Aufsichtsrecht insgesamt mehr als 150 Wahlrechte, die bisher auf nationaler Ebene sehr heterogen ausgeübt worden sind. Manche finden ihre Rechtfertigung in lokalen Besonderheiten, hier gilt der Grundsatz: Gleiches sollte man gleich behandeln, Ungleiches ungleich. Viele der Wahlrechte beruhen aber eher auf Tradition und stehen mit dem Grundsatz „same business, same risk, same rules“ auf Kriegsfuß. Der kleinere Teil dieser Wahlrechte verbleibt auf nationaler Ebene. Die Kompetenz für den größeren Teil – mehr als 100 Wahlrechte– liegt seit dem 4. November 2014 beim SSM. Die EZB hat nun gemeinsam mit den nationalen Aufsichtsbehörden begonnen, eine einheitliche Anwendung zu erarbeiten.

Dieser Prozess und die daraus folgenden Anpassungen werden nicht immer einfach oder bequem sein, aber das Ergebnis sollte die Anpassungskosten überwiegen – und zwar, nicht nur in Sachen Finanzstabilität, sondern auch durch höhere Wettbewerbsgleichheit und geringere Transaktionskosten. In mancherlei Hinsicht stehen wir noch am Anfang des Weges, aber ich bin zuversichtlich, dass wir mit dem SSM auf dem richtigen Weg sind, um diese Ziele zu erreichen.

5. Fazit

Ich denke, es hat Sie nicht überrascht, dass ich von lascher Regulierung nicht viel halte. Angesichts der offensichtlichen Neigung zu Übertreibungen und Fehlentwicklungen in den Finanzmärkten und des Schadenspotenzials für Wirtschaft und Gesellschaft ist gute Regulierung unabdingbare Voraussetzung, um die Funktionsfähigkeit des Finanzsektors dauerhaft zu gewährleisten. Das heißt nicht, dass die Folgen von Regulierung und Aufsicht auf die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft nicht bedacht werden sollten. Der Wunsch des einen oder anderen, die Härte des Regelwerkes durch eine weichere Aufsicht auszubalancieren, lehne ich dagegen ab. Das wäre der falsche Weg!

Aber es bedarf nicht nur einer guten Regulierung, sondern auch eines handlungsfähigen Aufsehers, der durch harte, aber faire Kontrolle seinen Beitrag für eine stabiles Bankensystem und ein länderübergreifendes Level Playing Field leistet. Entscheidender Faktor für Erfolg des SSM wird es dabei nicht nur sein, Banken im Euroraum einem einheitlichen Aufsichtsansatz auszusetzen, vielmehr müssen Aufsichtsrecht und die Befugnisse der europäischen Aufsicht einen weiteren Schritt in Richtung Harmonisierung gehen.

Und schließlich gilt: Nicht jeder Lebenssachverhalt kann regulatorisch abgebildet und nicht jede Krise aufsichtlich antizipiert werden. Regulierung und Aufsicht können zwar ein Maß an Schutz gewährleisten – gewissermaßen eine Verteidigungslinie bilden. Sie können und sollen aber nicht jedes Risiko ausschalten. Insofern sind eigenverantwortliches Handeln bei Banken und Finanzmarktteilnehmer auch in einem gut regulierten und beaufsichtigten System weiterhin unabdingbare Voraussetzungen für Stabilität und Sicherheit.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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