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Nationale Aufsicht in einem europäischen System: Wo liegt die neue Balance?

Rede von Sabine Lautenschläger, Mitglied des Direktoriums der EZB,
5. FMA Aufsichtskonferenz,
Wien, 30. September 2014

Sehr geehrter Herr Ettl,

sehr geehrter Herr Kumpfmüller,

sehr geehrte Damen und Herren,

heute vor 9 Monaten hat die Österreichische Finanzmarktaufsicht in zwei Presseerklärungen größere „Umbaumaßnahmen“ in Aussicht gestellt. 2014, so die FMA, werde die Bankenaufsicht im Euroraum auf ein „neues Fundament“ gestellt. Das Jahr bringe neue Aufgaben und Herausforderungen.

Die Metapher von der Baustelle gefällt mir sehr. Es fällt nicht schwer, sich auszumalen, welche Herausforderung die Errichtung eines neuen Fundamentes, eines neuen Gebäudes - zumal im laufenden Betrieb - bedeutet.

Heute, in dieser Veranstaltung, geht es um die „"Nationale Aufsicht in einem europäisches System“ und darum, „"wo die neue Balance liegt?“ Es geht also um die Standfestigkeit des europäischen Aufsichtsgebäudes.

Nun gibt es für den Bau eines Gebäudes klare Regeln bzw. Bedingungen, die einzuhalten sind. Aufgaben und Verantwortung müssen klar verteilt sein. Jeder muss wissen, was er zu tun oder zu lassen hat - und das gilt auch für den einheitlichen Aufsichtsmechanismus. Die europäische Aufsicht, bestehend aus EZB und 19 nationalen Aufsehern, ist kein Einfamilienhaus, sondern eher ein großer Gebäudekomplex. Ein Bauwerk, das auch bei Regen und Sturm stabil und standfest stehen soll.

Erwartungen der Bauherren

Der europäische Verordnungsgeber und auch die Öffentlichkeit erwarten, dass der Einheitliche Aufsichtsmechanismus für ein widerstandsfähiges, robustes Bankensystem im Euroraum sorgt. Es wird zu Recht erwartet, dass die Aufsicht in Europa besser ist als das, was 19 nationale Aufseher mit nationalen Mitteln erreichen konnten. Die neue Aufsicht soll neutral und nicht in nationalem Denken und Traditionen verhaftet sein. Sie soll, wo angebracht, ein Level playing field herstellen. War doch in der Finanzkrise offenbar geworden, dass die Schieflagen großer, stark vernetzter Banken kein nationales Problem bleiben und sich Schieflagen auf den öffentlichen und realwirtschaftlichen Sektor übertragen können.

Der einheitliche Aufsichtsmechanismus soll Risiken, die nationale wie den europäischen Finanzmarkt gefährden können, frühzeitig erkennen und Gegenmaßnahmen ergreifen. Die neue Aufsicht soll durchsetzungs- und handlungsfähig sein.

Der SSM, richtig aufgestellt, kann tatsächlich einen Großteil dieser Erwartungen erfüllen. Eine europäische Aufsicht wird Risiken frühzeitig erkennen und tatkräftig handeln können. Der SSM wird in der Lage sein, einen erheblichen Teil dessen zu erbringen, was ein Aufseher für ein widerstandsfähiges Bankensystem leisten kann. Dafür sorgt unter anderem die Aufgabenverteilung zwischen nationaler Aufsicht und EZB. Aber nicht alle Wünsche der Bauherren sind erfüllbar oder machbar. Denn die Widerstandsfähigkeit des europäischen Bankensystems oder auch die Leistungsfähigkeit einer nationalen Kreditwirtschaft hängt nicht nur von der Leistungs- und Handlungsfähigkeit des Aufsehers ab. Um auf Dauer widerstandsfähig zu sein, braucht eine Bank ein tragfähiges Geschäftsmodell; sie braucht auskömmliche Erträge, um die mit einem Bankgeschäft nun einmal verbundenen Risiken tragen zu können. Schließlich darf man nicht vergessen, dass die Bilanz einer Bank – vor allem einer Bank mit umfangreichem Firmenkundengeschäft – auch immer ein Spiegelbild der Volkswirtschaften darstellt, in denen sie als Finanzdienstleister tätig ist.

Bauplanung – Dimensionierung des Bauwerks

Doch lassen Sie uns von den Erwartungen wieder zum konkreten Bau zurückkommen. Am Anfang jedes Bauprojekts steht die Bauplanung. Der Architekt muss die Wünsche der Bauherren mit bestehenden Restriktionen verschiedenster Art in Einklang bringen. Es ist klar zu definieren, was das Gebäude am Ende leisten muss.

Bezogen auf den SSM bedeutet dies, dass eine direkte Aufsicht über alle Institute im Euroraum von vornherein aus praktischen Erwägungen nicht darstellbar und nicht gewollt war. Eine vollkommen zentralisierte Aufsicht wäre mit den erheblichen Nachteilen einer überbordenden Organisation, damit einhergehenden erheblichen Belastungen für alle Beteiligten und einem Verlust an national-regionalem Spezialwissen über die Besonderheiten der Banken in den Mitgliedstaaten verbunden gewesen. Welchen Mehrwert hätte eine direkte Aufsicht der EZB über die vielen kleineren und häufig regional verankerten Institute gebracht? Welche allein sprachlichen Herausforderungen hätten sich ergeben? Denn ohne einen detaillierten Blick in manch eine Kreditakte kann man keine gute Aufsicht über die meisten, im Privat- und Firmenkundengeschäft tätigen Banken leisten. Hier sind nationale Sprachkenntnisse für Gespräche mit dem Vorstand, den Mitarbeitern und der Blick in die Akten unabdingbar. Zudem wäre es nicht machbar gewesen, innerhalb eines Jahres eine direkte Aufsicht über alle Banken im Euroraum aufzubauen.

Sie sehen, meine Damen und Herren, bei der Dimensionierung unseres Bauwerkes ging es wieder einmal darum, die Balance zu halten, die Balance zwischen den Vor- und Nachteilen einer zentralen oder dezentralen Lösung. Für eine funktionierende Aufsicht im Euroraum muss, Zentralisierung und Regionalität in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Ein möglichst großes Gebäude darf also kein Selbstzweck sein, denn dafür fehlt das Fundament.

Bedeutende Kreditinstitute

Daher haben die Architekten des SSM entschieden, nur die größten grenzüberschreitend tätigen Bankengruppen des Euroraum einer direkten Beaufsichtigung durch die EZB zu unterstellen. Ansprechpartner für die übrigen Banken bleiben also auch weiterhin die Nationalen Aufsichtsbehörden in den Staaten des Euroraums.

Der SSM wird also künftig die sogenannten Bedeutenden Kreditinstitute direkt beaufsichtigen. Es handelt sich dabei um 120 Bankengruppen mit rund 1.200 Einzel-Instituten; diese Banken halten mehr als 80 % der Bankaktiva im Euroraum; sie können bei einer möglichen Schieflage erhebliche Auswirkungen auf die Stabilität des Finanzsystems des Euroraums haben. Darunter befinden sich auch acht Institutsgruppen aus Österreich.

Weniger Bedeutende Kreditinstitute

Alle übrigen 3.500 Institute werden künftig indirekt durch die EZB beaufsichtigt. Entscheidend ist hier, dass der nationale Aufseher der direkte Ansprechpartner für die Institute bleibt und dass er in der Regel die entsprechenden Aufsichtsentscheidungen trifft. Und trotzdem wird sich auch bei der Aufsicht über die Weniger Bedeutenden Institute etwas ändern. Denn der SSM wird den Aufsichtsansatz der nationalen Aufsicht beeinflussen; der SSM wird durch Vorgaben, Richtlinien und Empfehlungen die nationale Aufsicht bei den Weniger Bedeutenden Instituten steuern. Ziel ist es dabei nicht, alles zu vereinheitlichen. Ziel ist es vielmehr, im Euroraum ein einheitlich hohes Aufsichtsniveau sicherzustellen. Es muss allein darum gehen, ein Level playing field für alle zu gewährleisten und blinde Flecken auf der Aufsichtslandkarte zu verhindern.

Eigentlich ist der Begriff Weniger Bedeutende Institute irreführend. Es gibt durchaus Länder, in denen die jeweiligen einzelnen Institute nicht systemrelevant sind, dies aber von der Summe dieser Institute nicht behauptet werden kann. Darüber hinaus verfügen die Weniger Bedeutenden Banken nicht über ein homogenes Erscheinungsbild. Die Unterschiede in der Bilanzsumme reichen von wenigen Millionen Euro bis knapp unter 30 Mrd. Bilanzsumme. Zur Gruppe der Weniger Bedeutenden Institute zählen rein regional tätige Banken, z.T. mit recht einfachen, z.T. aber auch mit sehr speziellen Geschäftsmodellen; und auch grenzüberschreitende Institute mit sehr komplexen Geschäftsmodellen gehören dazu. Die Spannbreite ist riesig. Gleiches gilt für ihre Charakteristika und Verteilung im Euroraum. Wegen ihrer zahlreichen Genossenschaftsbanken und Sparkassen vereinen Deutschland mit 48,2% der Institute und Österreich mit 564 Banken und 16% der Institute bzw. 8 % der Bankaktiva des Euroraumes den größten Teil an den Weniger Bedeutenden Banken auf sich. Österreich ist also bei der indirekten Aufsicht nach Deutschland unser zweitgrößter „Kunde“. Gleichzeitig gibt es Länder, die nur sehr wenige Institute dieser Art aufweisen; Zypern beispielsweise wird sieben dieser Institute in den SSM einbringen.

Was bedeutet LSI – Aufsicht?

Lassen sich mich einige Worte dazu verlieren, was indirekte Aufsicht eigentlich bedeutet. Die indirekte Aufsicht durch die EZB besteht aus zwei Elementen, der Systemaufsicht und der Aufsicht über Institute und Sektoren. Die Systemaufsicht zielt darauf ab, insbesondere durch einen Vergleich bzw. ein Benchmarking der unterschiedlichen Aufsichtssysteme und -ansätze Defizite zu erkennen, zu adressieren, Best Practise Ansätze zu verbreiten und durchzusetzen. Bei der Instituts- und Sektoraufsicht geht es darum, die Institute ihrem Risikogehalt und ihren möglichen Auswirkungen entsprechend zu priorisieren, und damit auch die Intensität der indirekten Überwachung festzulegen. Je nachdem, in welcher "Intensitätsklasse“ die Bank sich befindet, verändern sich die Berichtsinhalte in Abstimmung mit den verschiedenen nationalen Aufsehern. So arbeiten wir derzeit an dem Entwurf eines Reporting-Leitfadens für die nationalen Aufseher. Dieser Leitfaden soll einen Überblick über die Informationen liefern, die die EZB benötigt. Denn ohne Informationen ist auch eine indirekte Aufsicht leider nicht möglich. Der Reporting-Leitfaden wird Ausdruck des mehrstufigen Aufsichtsansatzes sein. Er differenziert die Meldeanforderungen nach der Priorisierung der Institute, der Art der zu liefernden Information und dem Berichtsintervall.

Wir werden beispielsweise diejenigen Institute in eine hohe „"Intensitätsklasse" einordnen, die im Krisenfall erhebliche nachteilige Auswirkungen auf das Finanzsystem ihrer Mitgliedsländer haben können. Bei diesen Banken werden wir die Tätigkeit der Nationalen Aufsichtsbehörde intensiver begleiten. So kann der SSM auch in Einzelfall eine hochwertige, einheitlichen Maßstäben folgenden Aufsicht sicherstellen, ohne jedes Institut einer gleich hohen Aufsichtsintensität zu unterziehen. Das gilt zunächst einmal für solche Institute, die in einem ersten Schritt von den nationalen Aufsichtsbehörden als Institute eingestuft wurden, die einer besonders intensiven aufsichtlichen Begleitung bedürfen. In nicht allzu ferner Zukunft wird es aber weitere Kriterien geben, die eine granulare Unterscheidung ermöglichen. Ich denke da beispielsweise an Institute, bei denen Frühwarnindikatoren anschlagen oder an Banken, die durch ein Bilanzwachstum oder zunehmende Vernetzung auf natürliche Weise in die Population der Bedeutenden Banken hineinwachsen.

Der risikoorientierte Ansatz der institutionellen Aufsicht hat zur Folge, dass der überwiegende Teil der Banken, die aufgrund ihres Risikogehalts und ihrer Größe der Priorität „"niedrig“ oder „"mittel“ zugeordnet sind, nur einer sehr weitmaschigen Überwachung der EZB unterliegen. Das gilt beispielsweise für den überwiegenden Teil der Genossenschaftsbanken und kleineren Sparkassen. Bei der neuen europäischen Aufsicht wird jedoch eine sektorale Sichtweise hinzukommen, die wir in den nächsten Jahren weiterentwickeln werden. Wir wollen Institute identifizieren, die gemeinsam ein Klumpenrisiko für das Finanzsystem darstellen und somit im Krisenfall als Gruppe systemrelevant sein könnten. Wir bezeichnen diese virtuellen Gruppen als Sektoren. Diese Gruppe werden wir dann besonders im Auge behalten.

Ressourcen der indirekten Aufsicht

Um das Thema der Dimensionierung abzuschließen, nun noch ein paar Worte zu den Ressourcen im SSM für die indirekte Aufsicht. Auf Grundlage einheitlicher Vorgaben ist die operative Aufsicht für die 3.500 Weniger Bedeutenden Banken ganz bewusst bei den Nationalen Aufsichtsbehörden belassen worden. Diesem Grundgedanken trägt auch die Personalverteilung in der neuen europäischen Aufsicht Rechnung: Während sich in der EZB rund 400 Aufseher um die Bedeutenden 120 Bankengruppen kümmern, wird die operative nationale Aufsicht über die 3.500 Weniger Bedeutenden Institute von ca. 80 Mitarbeitern in der EZB begleitet. Wir setzen damit ganz bewusst auf die Tausende von Mitarbeitern in den Nationalen Aufsichtsbehörden, die sich mit ihren Kenntnissen über regionale Besonderheiten tagtäglich um diese große Gruppe von Banken kümmern.

Statik des Bauwerks

Die Bauplanung steht. Welche Vorschriften müssen eingehalten werden, damit die Statik ein standfestes Bauwerk versprechen kann?

Für mich sind vier wesentliche technische Anforderungen zu gewährleisten:

(1) Als erstes braucht eine europäische Aufsicht eine einheitliche Rechtsgrundlage, die nicht nur vorgibt, welche Vorschriften die europäische Kreditwirtschaft einzuhalten hat, sondern die der Aufsicht Handlungsmöglichkeiten einräumt. Nur so können wir innerhalb des einheitlichen europäischen Aufsichtsraums ein Level playing field herstellen.

Die Voraussetzungen für einen einheitlichen Rechtsrahmen für Banken und Aufsicht hat der europäische Gesetzgeber zum 01.01.2014 mit Inkrafttreten der Capital Requirements Regulation (CRR) und der Capital Requirements Directive IV (CRD IV) geschaffen. Darüber hinaus arbeitet die European Banking Authority (EBA) in London an einem sogenannten Single Rulebook, einer einheitlichen Interpretation der Rechtsgrundlagen der europäischen Bankenaufsicht. Dies geschieht in Form verbindlicher technischer Standards zu verschiedensten Themenbereichen.

Die europäische Verordnung wie Richtlinie enthalten eine Reihe von nationalen Wahlrechten und Sonderwegen, die nationalen Besonderheiten gerecht werden sollen. Wenn der europäische Gesetzgeber die Umsetzung dieser Wahlrechte dem nationalen Gesetzgeber überlassen hat - das ist bei rund 20 Wahlrechten der Fall - und der nationale Gesetzgeber sie in ein Gesetz gefasst hat, dann hat der SSM dies zu respektieren. Wir müssen nationales Gesetz anwenden, auch wenn dadurch womöglich das Level playing field gestört wird.

Anderes gilt für die rund 80 nationalen Wahlrechte, deren Ausübung der europäische Gesetzgeber in das Ermessen der Aufsicht gestellt hat. Wir haben alle nationalen Wahlrechte in den letzten Monaten aufgelistet und werden schnellstmöglich entscheiden, wie wir zu jedem einzelnen Wahlrecht stehen, ob und wenn, wie wir es ausüben wollen. Hier spielt die nationale Aufsicht eine wichtige Rolle, denn sie ist es, die uns die nationalen Besonderheiten und die damit verbundenen Risiken erklären muss. Sie ist es, die unser Wissen über nationale Märkte und Marktstrukturen, über nationale Rechtssysteme und Risikotrends ergänzen soll. Und als Aufseher wissen wir, dass nicht alle, aber manche Wahlrechte eben nicht das Resultat spezifischer Marktstrukturen sind, sondern auch ein Fortbestehen alter Traditionen und liebgewonnener Gewohnheiten darstellen.

(2) Für eine gute Aufsicht in Europa braucht man Kenntnisse und Erfahrungen über einzelne nationale wie über europäische Märkte und Marktstrukturen; man braucht Kenntnisse und Erfahrungen über nationale und europäische Rechtssysteme. Wissen sollte auf europäischer Ebene gebündelt und Entscheidungen zentral auf europäischer Ebene getroffen werden, um den Blick weg von allein nationalem Interesse auf das europäische Interesse zu lenken. Die Aufgabenteilung im SSM sieht genau das vor. Für die Bedeutenden Institute wird wie gesagt die EZB die direkte Aufsicht umfassend verantworten. Nationale Aufseher werden in den Aufsichtsteams aber ihre Kenntnisse und Erfahrungen einbringen und die EZB in ihrer Aufsichtstätigkeit unterstützen – und zwar nach einem einheitlichen Aufsichtsansatz. Unser Anspruch in der EZB ist es, das Geschäftsmodell und das Risikoprofil jedes der 120 direkt beaufsichtigten Institute im Detail zu kennen. Wir wollen jederzeit die Risikotragfähigkeit, die internen Kontrollsysteme und die Governance der Banken beurteilen, und frühzeitig eingreifen können, wenn wir Gefahren erkennen. Kurz gesagt: wir wollen intensiv beaufsichtigen. Über die Arbeitsaufteilung bei den Weniger Bedeutenden Instituten habe ich schon ausführlich gesprochen. In beiden Bereichen werden Kenntnisse über nationale und europäische Märkte also mit einem einheitlichen Bewertungssystem, einem einheitlichen Aufsichtsansatz und einer zentralen, europäischen Entscheidungsebene zusammengebracht.

(3) Die dritte Voraussetzung für eine erfolgreiche europäische Aufsicht ist es, makroprudenzielle Überwachung mit mikroprudenzieller Aufsicht zu verzahnen.

Hier geht es darum, die dem Einzelfall verhaftete Institutsaufsicht um wichtige und gut aufbereitete Erkenntnisse zu ergänzen, die sich erst aus der Perspektive auf den gesamten Euroraum bzw. das globale Finanzsystem erschließen. Nicht nur bei der Aufsicht über international tätige Banken ist es für den Institutsaufseher wichtig, die sich an den Finanzmärkten abzeichnenden Risiken zu kennen. Umgekehrt soll der nationale Aufseher die wichtige Rolle übernehmen, auf nationale Anreizsysteme und Ansteckungswege hinzuweisen. Derartige Erkenntnisse ermöglichen ein sehr viel rechtzeitigeres, präventives Eingreifen.

(4) Die letzte und vierte Bedingung für eine erfolgreiche europäische Aufsicht hat etwas damit zu tun, dass der SSM die Vorteile seiner Größe optimal ausspielt. Mit der direkten Aufsicht über rund 120 Banken bietet sich dem SSM eine breitere Informationsbasis, um frühzeitig Risiken durch Querschnittsanalysen und -vergleiche erkennen zu können. Dafür wird der SSM auf eine starke Querschnittsabteilung bauen, die mit den Institutsaufsehern zusammen Geschäfts- und Risikomanagement-Praktiken in den Banken auswertet und bei Bedarf Standards formuliert und best practices durchsetzt.

Vorbereitung für weitere Anbauten

Ein kluger Bauherr macht sich schon bei der Planung Gedanken darüber, ob er denn in Zukunft Wünschen nach Erweiterung des Gebäudes, nach Anbauten befriedigen kann. Der europäische Gesetzgeber hat sich bei der Konstruktion des SSM klare Regeln aufgesetzt, wie europäische Mitgliedsstaaten, die nicht Teil der Europäischen Währungsunion sind, doch Teil des einheitlichen Aufsichtsmechanismus werden können. Die Regeln rund um die sogenannte close cooperation stehen fest; Anbauten sind also nicht ausgeschlossen! Und ich bin da ganz offen, wohlgesonnen, solange sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen.

Die strengen Vorschriften, die dem Bau des Hauptgebäudes zu Grunde lagen, müssen auch auf die Anbauten angewendet werden. Aus diesem Grund ist die close cooperation nicht als Übereinkunft zwischen der EZB und dem jeweiligen Mitgliedsstatt konzipiert, sondern als Ergebnis eines positiv beschiedenen Antrags. Möchte ein Mitgliedsstaat der EU, der nicht den Euro als Währung verwendet, am SSM teilnehmen, muss er die gesetzlichen Grundlagen schaffen, die es dem SSM ermöglichen, der Nationalen Aufsichtsbehörde Weisungen zu erteilen und Richtlinien zu erlassen. Dies ist deshalb so wichtig, weil der SSM in Mitgliedsstaaten, die nicht den Euro als Währung verwenden, nicht direkt gegenüber einem Kreditinstitut tätig werden kann, sondern seine Entscheidungen mittelbar über die Nationale Aufsichtsbehörde umsetzt. Selbstverständlich muss sich auch das Bankensystem eines Mitgliedsstaates in close cooperation einem umfangreichen Gesundheitscheck unterziehen, bevor der SSM die Aufsicht übernimmt – so wie es zurzeit im Euroraum geschieht.

Fazit

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich Ihren Blick zum Abschluss noch einmal auf unser gigantisches Bauprojekt lenken. Es ist so gut wie fertiggestellt

Unzählige Experten aus dem Euroraum haben an diesem Bauwerk mitgearbeitet. Damit meine ich insbesondere auch die Kolleginnen und Kollegen aus den nationalen Aufsichtsbehörden, von der Österreichischen Nationalbank und der Österreichischen Finanzmarktaufsicht.

In einer Kraftanstrengung ohne Gleichen haben sie das Projekt auf allen Ebenen mit Expertenwissen, langjähriger Erfahrung und Manpower maßgeblich mitgeprägt: von vielen, vielen Arbeitsgruppen bis hin zu Entsendungen von zahlreichen Mitarbeitern, die nun den laufenden Betrieb des Gebäudes vorbereiten und mittelfristig sicherstellen sollen. Sie alle haben entscheidend dazu beigetragen, dass von der Bauplanung bis zur Inbetriebnahme stets die Balance zwischen der erforderlichen Letztverantwortung auf zentraler Ebene und den berechtigten Belangen der Euro-Mitgliedstaaten bei der Projektplanung und -umsetzung beachtet werden konnte. Das wird auch in Zukunft so bleiben, denn auch im Supervisory Board sind die 18 (bald 19) Mitgliedstaaten mit ihren zuständigen Bankaufsichtsbehörden prominent vertreten.

An einer rechtzeitigen Fertigstellung unseres Europäischen Aufsichtsprojekts zweifle ich nicht. Bis zum Starttermin, 4. November, sind es noch genau 35 Tage. Bei uns in Frankfurt wird derzeit mit Hochdruck an der Aufnahme des regulären Geschäftsbetriebes der EZB Bankenaufsicht gearbeitet, denn die Verantwortung für die Aufsicht über rund 4.700 Institute im Euroraum liegt ab diesem Zeitpunkt bei uns.

Das Personal für den SSM ist weitgehend rekrutiert. Letzte Gespräche werden noch geführt. Der Aufsichtsansatz ist definiert. Die Arbeitsteilung zwischen den Nationalen Aufsichtsbehörden und EZB ist festgelegt. Interne Arbeitsabläufe sind im internen Handbuch des SSM konkret formuliert.

Der Bauabschnitt für die Bedeutenden Institute ist praktisch abgeschlossen. Die Joint Supervisory Teams, die für die Aufsicht der 120 Bedeutenden Bankengruppen zuständig sein werden, haben sich bereits konstituiert und arbeiten sich in ihre Banken ein.

Im Bauabschnitt der Weniger Bedeutenden Institute sind die Kolleginnen und Kollegen derzeit damit beschäftigt, sich über die Bankaufsichtssysteme sowie die Population der übrigen Banken und ihre Eigenheiten im Euroraum gründlich Evidenz zu verschaffen. Auch dieser Bereich wird am 4. November arbeitsfähig sein.

Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt davon, dass nur eine enge Zusammenarbeit und eine klare Aufgabenverteilung zwischen den nationalen Aufsehern und der EZB es möglich machen wird, dem Auftrag gerecht zu werden, die Widerstandskraft des Bankensystems im Euroraum zu stärken.

Sicherlich wird das Fundament der Einheitlichen Europäischen Bankenaufsicht in Zukunft an der einen oder anderen Stelle auch mal ungleichen Belastungen ausgesetzt werden. Das ist vollkommen normal bei einem Bauwerk, das viele Jahre steht.

Solange wir die Prinzipien der Architekten des SSM nicht aus dem Auge verlieren, wird es gelingen, gemeinsam – also EZB und Nationale Aufsichtsbehörden – stets die richtige Balance wiederzufinden. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass das vorrangige Ziel des SSM, eine hochwertige Bankenaufsicht im Euroraum, dauerhaft sichergestellt werden kann.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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