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Ein Systemwechsel bei der 
Bankenaufsicht und -abwicklung

Rede von Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der EZB,
European Supervisor Education Initiative (ESE)-Konferenz,
Frankfurt, 26. September 2013

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

zunächst möchte ich mich herzlich für die Einladung bedanken, heute vor Ihnen zu sprechen.

Europa durchlebt bekanntermaßen seit einiger Zeit die schlimmste Wirtschafts- und Finanzkrise seit den 1930er-Jahren. Das Wirtschaftswachstum ist nach wie vor schwach und die Arbeitslosigkeit viel zu hoch. Nur langsam sind die ersten Anzeichen einer Erholung zu erkennen.

Und doch gab diese schwierige Situation auch Anstoß für einige positive Entwicklungen. Im Euroraum hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Integration in gewissen Bereichen vertieft werden muss, damit die Stabilität unseres Währungsraums verbessert werden kann. Nun werden erste Schritte gemacht; ausschlaggebend hierfür sind wohl weniger große Hoffnungen und Visionen sondern vielmehr Notwendigkeiten.

Meiner Meinung nach ist die wichtigste derzeit zu beobachtende Veränderung die Entwicklung der Bankenunion. Eine Währungsunion braucht eine Bankenunion – nicht zuletzt, weil ein stabiler Bankensektor eine unverzichtbare Ergänzung einer soliden Währung ist. Daher halte ich die Bankenunion für den bedeutendsten Integrationsschritt seit der Einführung des Euro.

Für diejenigen unter uns, die mit der Aufsicht oder sonstigen Themen des Finanzsektors betraut sind, ist es eine besonders spannende Zeit. Wir stehen an einer zukunftsweisenden Wegscheide ─ nur selten bietet sich eine solche Gelegenheit, Einrichtungen grundlegend neu zu gestalten. Diese Chance weckt Erinnerungen an die Vorarbeiten für die Wirtschafts- und Währungsunion vor 25 Jahren.

Sie bedeutet aber gleichzeitig auch Verantwortung, und so schnell wird sich eine solche Gelegenheit nicht wieder bieten. Daher müssen wir sichergehen, dass wir heute die richtigen Entscheidungen treffen. Die Bankenunion darf, und das ist besonders wichtig, nicht nur ein Label sein – wir müssen dafür Sorge tragen, dass mit ihr ein echter Systemwechsel in der Bankenaufsicht und -abwicklung eingeläutet wird.

Aus diesem Grund möchte ich heute vor allem darüber sprechen, wie wir diesen Systemwechsel erreichen können.

Die Bausteine eines Systemwechsels

Ich bin der Ansicht, dass ein echter Systemwechsel zweierlei Bausteine bedarf. Da ist zum einen der Aufbau eines einheitlichen Systems für Bankenaufsicht und –abwicklung. Im zweiten Schritt folgt dann die striktere Gestaltung des Systems.

Doch warum brauchen wir diese beiden Bausteine?

Wir benötigen ein einheitliches System, damit die Bedingungen für den gesamten europäischen Bankensektor gleich sind – und wir somit einen wahrhaft einheitlichen europäischen Finanzmarkt schaffen. Denn 20 Jahre nachdem die Verwirklichung des Binnenmarkts Realität sein sollte, dauert die nationale Fragmentierung des Bankensektors in Europa weiter an. Dies hat viele Nachteile; nicht zuletzt stört es die geldpolitische Transmission, macht Banken anfälliger gegenüber länderspezifischen Risiken und fördert die Home Bias beim Kauf von Staatsanleihen, was wiederum eine Verstärkung der Rückkopplung zwischen Staaten und Banken mit sich bringt.

Wie weit wir noch von einem vollständig integrierten Finanzmarkt entfernt sind, zeigt das Ergebnis einer aktuellen Studie. Dieser kann entnommen werden, dass von 2005 bis 2012 in den Vereinigten Staaten im Durchschnitt 343 Bankenfusionen und -übernahmen pro Jahr stattfanden, in Europa hingegen nur 58. Einer der Gründe hierfür ist, dass es in Europa bislang kein einheitliches System für Aufsicht und Abwicklung gab, was grenzüberschreitenden Aktivitäten nicht zuträglich war.

Wir benötigen ein strikteres System, um zu gewährleisten, dass die neuen Instrumente der Bankenunion, wenn sie bereitstehen, aktiv zur Schaffung eines stärkeren und stabileren Bankensektors genutzt werden. Bei der Wiedererlangung des Vertrauens der Anleger in den Bankensektor steht Europa noch ein langer und steiniger Weg bevor. Dies liegt zum Teil auch daran, dass unser Ansatz gegenüber den Banken nicht in allen Ländern gleichermaßen strikt ist – dies gilt für die Bereiche Bilanztransparenz, Ausweis von Verlusten und Abwicklung von Kreditinstituten.

Deutlich wird dies, wenn man die Abweichungen der Kurs-Buchwert-Verhältnisse für große und komplexe Banken innerhalb und außerhalb des Euroraums betrachtet: Das Kurs-Buchwert-Verhältnis von Banken außerhalb des Euroraums liegt derzeit bei etwa 1, während sich diese Zahl für Banken im Euroraum auf lediglich 0,7 beläuft. Der Marktwert der Banken im Euroraum liegt also unter ihrem Buchwert. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Länder außerhalb des Euroraums Verluste erheblich früher ausgewiesen und nicht lebensfähige Banken zügiger abgewickelt haben.

Ein echter Systemwechsel sowohl im Hinblick auf das System als auch die Umsetzung von Aufsicht und Abwicklung könnte für Europa beachtliche Auswirkungen haben. Auf kurze Sicht könnte dies dazu beitragen, die Bereinigung von Bankbilanzen zu beschleunigen, und somit die Vergabe von Bankkrediten wieder in Gang bringen. Auf mittlere Sicht könnte es die Entstehung von wahrhaft europäischen Banken unterstützen.

Wie können wir einen solchen Systemwechsel bewirken?

Aufbau eines einheitlichen Systems

Befassen wir uns zunächst mit dem ersten Baustein, dem Aufbau eines einheitlichen Systems. Damit ein System einheitlich ist, müssen meiner Ansicht nach zwei Bedingungen erfüllt sein. Erstens muss es einheitliche Regeln geben. Und wenn diese Regeln einen gewissen Ermessensspielraum enthalten, so muss es zweitens eine zentrale Behörde geben, die die Regeln einheitlich durchsetzen kann.

Ein einheitliches System für die Aufsicht

Was die Aufsicht betrifft, so sind derzeit Fortschritte bezüglich beider Bedingungen zu verzeichnen.

Was die Regeln anbelangt, so wurde im Rahmen der Eigenkapitalrichtlinie CRD IV für Banken in Europa ein neues Regelwerk etabliert. Zudem wird es im einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) ein einheitliches, für alle Banken geltendes Handbuch zur Aufsicht geben. In diesem werden unter anderem die Methode für den aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess (Supervisory Review and Evaluation Process – SREP), Prüfungen vor Ort sowie externe Prüfungen, Risikobeurteilungen und Modellvalidierungen behandelt. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass in allen Ländern der Bankenunion – und über die Harmonisierung mit der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde in der gesamten EU – die gleichen Aufsichtsstandards angewandt werden.

Im Hinblick auf die Beschlussfassung wird der zentralisierte Ansatz dadurch gestärkt, dass Ebenen der europäischen und nationalen Aufsicht zusammengeführt werden. Eine Neuerung stellen die gemeinsamen Aufsichtsteams dar, die sich aus Mitarbeitern der EZB und der zuständigen nationalen Behörden zusammensetzen. Für jede bedeutende Bankengruppe, die der direkten Aufsicht durch den SSM unterliegt, ist ein Team zuständig, das von einem für die EZB tätigen Koordinator geleitet wird. So wird ein kollektiver Ansatz garantiert und dafür gesorgt, dass die europäische Perspektive stets in den Entscheidungsfindungsprozess einfließt. Die EZB trägt die finale Verantwortung für die Entscheidungen.

Die Schaffung eines integrierten SSM stellt selbstverständlich eine große organisatorische Herausforderung dar. Im SSM bringen wir 17 oder mehr nationale Aufseher mit unterschiedlichen Betriebskulturen und Aufsichtsphilosophien in einem einheitlichen Mechanismus mit einer Kultur und einer Philosophie zusammen. Die EZB wird etwa 1 000 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen, von denen rund 750 in der Aufsicht tätig sein werden. Es wird also noch etwas dauern, bis der SSM voll funktionsfähig ist.

Da die SSM-Verordnung voraussichtlich Anfang November in Kraft tritt, stehen wir bereit, die Stellenausschreibung für den Vorsitzenden des Aufsichtsgremiums zu veröffentlichen. Danach werden die Stellen für die oberste Führungsebene des SSM ausgeschrieben – hierbei handelt es sich um die Positionen von vier Generaldirektoren, die den zentralen Geschäftsbereichen vorstehen werden, und von sechs stellvertretenden Generaldirektoren. Die Ausschreibungen für die Positionen der mittleren Führungsebene werden dann einige Wochen später veröffentlicht. Anschließend kann mit der breit angelegten Suche nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den SSM begonnen werden. Gegen Ende des ersten Quartals 2014 müssen wir die grundlegende Organisationsstruktur für die Prüfung der Aktiva-Qualität eingerichtet haben.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen daher die geplante Organisationsstruktur des SSM erläutern.

Der SSM wird vier Generaldirektionen und eine Sekretariatsabteilung umfassen. Zwei Generaldirektionen (Mikroprudenzielle Aufsicht I und II) führen die direkte und laufende Aufsicht über bedeutende Banken durch. Zwischen diesen beiden Geschäftsbereichen erfolgt die Verteilung der Zuständigkeit für die Aufsicht vor allem auf Grundlage eines risikobasierten Ansatzes. Dies ermöglicht eine Spezialisierung nach Risikoengagement, Komplexität und Geschäftsmodell der Kreditinstitute.

Die dritte Generaldirektion (Mikroprudenzielle Aufsicht III) ist mit der Durchführung der indirekten Aufsicht über weniger bedeutende Bankengruppen befasst. Die zuständigen nationalen Behörden sind weiterhin für die laufende direkte Aufsicht über diese Banken zuständig, erstatten aber regelmäßig Bericht an die EZB.

Der Aufgabenbereich der vierten Generaldirektion (Mikroprudenzielle Aufsicht IV) ist die horizontale Aufsicht und sie erfüllt spezialisierte Expertenfunktionen; hierzu zählen beispielsweise aufsichtliche Qualitätssicherung, Entwicklung von Methoden und Standards, Durchsetzung von Regeln und Sanktionen, Krisenmanagement, Risikoanalyse im Hinblick auf Kapitalmärkte sowie Modellvalidierung.

Unter den Generaldirektionen ist in dieser Organisationsstruktur die mittlere Führungsebene, bestehend aus Abteilungsleitern, Gruppenleitern und Senior Advisors, angesiedelt. Aus diesem Personenkreis werden die Koordinatoren der gemeinsamen Aufsichtsteams ausgewählt.

Ich möchte auch einige Worte dazu sagen, wie unseren Planungen zufolge die tägliche Arbeit durchgeführt und wie die Vor-Ort-Prüfungen sowie die externen Prüfungen organisiert werden sollten.

Die gemeinsamen Aufsichtsteams sind für die laufende Aufsicht über bedeutende Banken zuständig. Sie schlagen Prüfungen vor, an denen sie zwar teilnehmen, die sie aber nicht leiten. Diese Aufgabe übernimmt der Prüfungsleiter, der von der horizontalen Generaldirektion Mikroprudenzielle Aufsicht IV – also der EZB – ernannt wird. Prüfungen vor Ort werden im Allgemeinen von Mitarbeitern der zuständigen nationalen Behörden geleitet, was aber nicht ausschließt, dass die EZB die Federführung übernehmen kann.

Die gemeinsamen Aufsichtsteams bereiten die Empfehlungen vor, leiten die am Ende der Prüfung stattfindende Sitzung mit dem Kreditinstitut, und sind mit der mit den Empfehlungen verbundenen Nachfolgearbeit befasst.

Die horizontale Generaldirektion ist für die Methodik der Prüfungen vor Ort zuständig. Des Weiteren plant sie die Vor-Ort-Prüfungen, die bei bedeutenden Banken jährlich durchzuführen sind, und aktualisiert die globale Planung der Prüfungen auf halbjährlicher Basis.

Bei den Prüfungen vor Ort handelt es sich um spezifische eingehende Untersuchungen von Risiken, Risikokontrollen und Governance. Umfang, Zeitplan und Ressourcen dieser Prüfungen werden vorab festgelegt. Zum Einsatz kommen dabei Untersuchungs- und Überprüfungsmethoden, mit denen anhand gemeinsamer Standards die Kontrollen und wesentlichen Verfahren getestet werden.

Die Prüfungen folgen festgelegten Verfahren (für die gemeinsamen Aufsichtsteams, die zuständigen nationalen Behörden und die geprüften Kreditinstitute) und werden unabhängig durchgeführt. Die Ergebnisse der Prüfungen vor Ort werden in einem Bericht und einer Zusammenfassung festgehalten.

Ein einheitliches System für die Aufsicht

Ein einheitliches Abwicklungssystem ist ebenso wichtig wie ein einheitliches Aufsichtssystem. Banken – und auch deren Anleger – müssen wissen, was sie in guten wie auch in schlechten wirtschaftlichen Zeiten zu erwarten haben. Daher sind auch hier einheitliche Regeln und eine zentrale Behörde zur Durchsetzung dieser Regeln von entscheidender Bedeutung.

Die einheitlichen Regeln für die Abwicklung – die Richtlinie für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen – wurden bereits vom Rat der Europäischen Union gebilligt und werden derzeit im Europäischen Parlament erörtert.

Grundsätzlich begrüße ich diese Richtlinie, die eine erhebliche Verbesserung des Status quo darstellt. Vor der Krise verfügten nur wenige Länder über einen Abwicklungsrahmen, was dazu geführt hat, dass die Abwicklung in den einzelnen Ländern ad hoc und uneinheitlich erfolgte.

Im Hinblick auf den Ermessensspielraum, der den nationalen Abwicklungsbehörden gewährt wird, greift diese Richtlinie allerdings zu kurz, da es weiterhin möglich ist, bestimmte Kategorien von Verbindlichkeiten vom Bail-in auszunehmen. Dies ist meiner Meinung nach beim Aufbau eines einheitlichen Systems nicht hilfreich, da eine zu große Unsicherheit hinsichtlich der Anwendung eines Bail-ins bleibt.

So könnte man sich beispielsweise eine Situation vorstellen, in der eine bestimmte Kategorie von Anlegern aus nationalen wirtschaftspolitischen Erwägungen von einem Bail-in ausgenommen wird. Oder eine Situation, in der größere Länder mit größeren Abwicklungsfonds in der Lage sind, mehr Gläubiger vom Bail-in auszuschließen als kleinere Länder. Anleger können in diesen Fällen nur Mutmaßungen darüber anstellen, wie der Bail-in angewendet wird.

In diesem Zusammenhang ist es noch entscheidender, eine Behörde zu haben, die befugt ist, zentrale Entscheidungen zu treffen. Wenn es bei der Anwendung der Abwicklungsregeln einen Ermessensspielraum gibt, dann müssen wir sicherstellen, dass dieser Spielraum in allen Ländern gleich gehandhabt wird. Dies verdeutlicht, warum ein starker einheitlicher Abwicklungsmechanismus so wichtig ist – und konkreter, warum der Mechanismus mit unabhängigen Entscheidungsbefugnissen ausgestattet sein muss und es keine nationalen Vetorechte geben darf.

Auch für die einheitliche Abwicklung von grenzüberschreitend tätigen Banken ist ein einheitlicher Abwicklungsmechanismus von entscheidender Bedeutung. Es hat sich gezeigt, dass mit einer nationalen Abwicklung keine grenzüberschreitenden Koordinierungsprobleme zu lösen sind und insgesamt gesehen nicht die kostengünstigste Abwicklungsstrategie zu erreichen ist. Darüber hinaus ist in einem geteilten System mit einem langwierigen Gerangel um die Lastenteilung zu rechnen, was die Aufräumarbeiten im Gefolge einer Krise nur verzögert.

Aus diesen Gründen halte ich es für dringend erforderlich, dass der Mechanismus nicht nur eine einheitliche Abwicklungsbehörde, sondern auch einen einheitlichen Abwicklungsfonds umfasst. Der Vorschlag der Kommission für den einheitlichen Abwicklungsmechanismus sieht vor, dass ein solcher Abwicklungsfonds über Abgaben von Privatbanken finanziert wird. Nach Schätzungen der Kommission dürfte der Fonds sich bis zum Jahr 2025 auf rund 55 Milliarden Euro belaufen.

Prinzipiell begrüße ich diesen Vorschlag, denke aber, dass in der Aufbauphase geklärt werden muss, was passiert, wenn die Mittel des Fonds aufgrund außergewöhnlicher Umstände ausgeschöpft sind. In diesem Punkt ist der Vorschlag vage. Ich halte einen glaubwürdigen Sicherungsmechanismus für unerlässlich, damit die Abwicklungskosten zuverlässig von den nationalen Budgets getrennt werden können.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein einheitliches System auf einheitlichen Regeln basiert, die aus dem Zentrum heraus einheitlich durchgesetzt werden. Wir sind dabei, dies bei der Aufsicht umzusetzen. Meiner Meinung nach ist es entscheidend, dies auch für die Abwicklung zu erreichen. Die Bankenunion bietet letztlich die Möglichkeit, einen einheitlichen Finanzmarkt zu schaffen, in dem eine Trennlinie zwischen Banken und Staaten gezogen wird. Mervyn King sagte einmal, dass die großen, internationalen Banken „global in life, but national in death“ sind. Es ist unsere Aufgabe sicherzustellen, dass Banken sowohl bei guter als auch bei schlechter Finanzlage „europäisch“ sind.

Aufbau eines strikteren Systems

Kommen wir nun zum zweiten Baustein eines echten Systemwechsels, dem Aufbau eines strikteren Systems. Die Schaffung neuer Regeln und Einrichtungen für die Bankenaufsicht und -abwicklung ist von grundlegender Bedeutung. Genauso wichtig ist es jedoch, diese so zu nutzen, dass ein messbar tragfähigerer und stabilerer Bankensektor entsteht.

Wie können wir das erreichen?

Ein neuer Ansatz für die Aufsicht

Zunächst bedarf es des Willens der politischen Entscheidungsträger, Bankbilanzen gemäß den gemeinsamen SSM-Standards transparenter zu gestalten. Die SSM-Verordnung versetzt uns dazu in die Lage, indem sie eine umfassende Bewertung der Banken fordert, welche der direkten Aufsicht durch die EZB unterstellt sein werden. Dies geht über ein rein buchhalterisches Verfahren hinaus. Wir müssen sicherstellen, dass die Bewertung strikt ist und zentral verwaltet wird. Schließlich bringt eine neue Brille nichts, wenn man die Augen nicht öffnen möchte.

Nach unserer aktuellen Planung soll die umfassende Bewertung drei Komponenten umfassen: Erstens eine Risikobewertung zur Ermittlung allgemeiner Risikofaktoren wie Refinanzierungs- und Liquiditätsrisiken. Zweitens eine Bilanzbewertung, bei der die Qualität von Aktiva anhand risikobasierter Kalkulations-, Qualifizierungs- und Bewertungschecks geprüft wird und eine zentrale Qualitätssicherung gemäß einer einheitlichen Methodik erfolgt. Hierbei wird das Fachwissen externer Berater herangezogen. Drittens ein Stresstest, bei dem die Ergebnisse einem Negativszenario unterzogen werden.

Die Verbindungen zwischen der Bilanzbewertung und dem Stresstest müssen noch im Detail ausgearbeitet werden. Fest steht jedoch, dass es sich um „kommunizierende Röhren“ handelt. Da es sich bei der Bilanzbewertung eher um eine eingehende Bestandsaufnahme zu einem bestimmten Zeitpunkt handelt, muss der Stresstest mehr zukunftsgerichtete Elemente beinhalten.

Es könnte sein, dass das Ergebnis dieser dreistufigen Prüfung lautet, dass einige Banken eine Kapitallücke aufweisen, die geschlossen werden muss. Aus unserer Sicht ist es für die Glaubwürdigkeit des Prozesses von größter Bedeutung, dass sein Umfang nach wie vor ehrgeizig ist; das bedeutet unter anderem, dass eine Datenintegritätsprüfung stattfindet.

Natürlich müssen wir auf die praktischen Belange der Beteiligten achten, auch die der Banken. Wichtig ist, dass alle Anforderungen an die Banken weit vor dem offiziellen Beginn eindeutig definiert, finalisiert, erläutert und an die Banken übermittelt werden. Idealerweise sollten die finalen Vorlagen und die beiliegenden Nutzungshinweise nicht mehr geändert werden, sobald Daten für die Bilanzbewertung erhoben werden.

In Bezug auf den Umfang und die Rigorosität werden wir allerdings keine Kompromisse eingehen.

Wir möchten den Prozess bereits Ende dieses Jahres in Gang setzen und dabei zunächst die Risikoportfolios festlegen, allerdings hängt der Starttermin in gewissem Maße auch davon ab, wann alle Mitglieder des Aufsichtsgremiums feststehen. Ich bin zuversichtlich, dass die EZB und das Europäische Parlament nach erfolgter Annahme der SSM-Verordnung konstruktiv zusammenarbeiten werden, um die Mitglieder des Aufsichtsgremiums zu ernennen und insbesondere ein Schnellverfahren für die Ernennung des Vorsitzenden zu gewährleisten.

Wenn die Ergebnisse der Bewertung vorliegen, müssen die politischen Entscheidungsträger auch bereit sein, mit den Folgen umzugehen. Fest steht, dass die europäischen Banken heute besser aufgestellt sind als noch vor ein paar Jahren. Die Banken in Spanien stellten beispielsweise Kredite in Höhe von 184 Milliarden Euro bzw. 10,5 % ihres Kreditportfolios bereit und konnten seit 2008 neues Eigenkapital in Höhe von 22 Milliarden Euro aufnehmen. Wir können aber nicht ausschließen, dass die Bewertung auch jetzt noch einen Kapitalbedarf aufzeigt. Es ist wichtig, dass für diesen Fall Sicherungsmechanismen vorhanden sind.

Andernfalls ist nämlich zu befürchten, dass eine Lose-Lose-Situation für den Bankensektor entsteht. Falls die Ergebnisse einen geringen Kapitalbedarf zeigen, wird am Markt der Eindruck entstehen, zwecks Einsparung öffentlicher Gelder hinters Licht geführt worden zu sein. Ergibt sich umgekehrt ein hoher Kapitalbedarf, werden sich die Märkte fragen, wie dieser gedeckt werden kann, was zu Unsicherheit führt. In beiden Fällen wird der Vertrauenszuwachs zunichte gemacht, den wir uns von der Bewertung erhoffen.

Ein neuer Ansatz für die Abwicklung

Beim zweiten Baustein eines strikteren Systems geht es auch darum, die Art und Weise unseres Umgangs mit nicht lebensfähigen Banken zu ändern.

Zunächst müssen wir sicherstellen, dass wir die neuen Abwicklungsbefugnisse vollumfänglich nutzen. Da die meisten europäischen Länder nicht viel Erfahrung mit der Schließung von Banken haben, könnte es eine Tendenz geben, die Abwicklung von Banken zu vermeiden ‒ indem man bei der Aufsicht Nachsicht walten lässt und Banken immer wieder Zeit für die Wiederherstellung ihrer Lebensfähigkeit zugesteht. Eine wichtige Aufgabe der EZB als Aufseherin besteht darin, dafür zu sorgen, dass dies nicht geschieht.

Um sicherzustellen, dass die Abwicklungsbefugnisse vollumfänglich genutzt werden, wäre es auch hilfreich, wenn alle Bestandteile des neuen Abwicklungsrahmens gleichzeitig zur Verfügung stünden. Grundsätzlich werden die aufsichtlichen Befugnisse des SSM ab November 2014 bestehen. Die Richtlinie für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen wird voraussichtlich im Januar 2015 in Kraft treten ‒ zeitgleich mit dem einheitlichen Abwicklungsmechanismus. Der gegenwärtigen Vereinbarung zufolge würden die neuen Bestimmungen zum Bail-in jedoch erst ab Januar 2018 gelten. Dies bedeutet, dass die Abwicklungsbehörde über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg nicht in der Lage sein wird, eines ihrer wichtigsten Instrumente zur Abwicklung zu nutzen.

Aus diesem Grund befürworte ich ein früheres Inkrafttreten der Bestimmungen zum Bail-in. Die Richtlinie muss noch mit dem Europäischen Parlament abgestimmt werden. Meiner Meinung nach sollten wir uns dafür einsetzen, dass die Bestimmungen zum Bail-in 2015 in Kraft treten, sodass wir von Anfang an auf das gesamte Instrumentarium zur Abwicklung von Banken zugreifen können und nicht die staatlichen Hilfen übermäßig lange als Überbrückung beanspruchen müssen.

Schlussfolgerung

Ich komme nun zu meinen Schlussfolgerungen.

In meinen heutigen Ausführungen wollte ich darlegen, dass zu einem Systemwechsel zwei Elemente gehören: Erstens bedarf ein einheitliches System der richtigen Regeln und Einrichtungen. Zweitens bedarf es der Bereitschaft, bei diesen Regeln und Einrichtungen strikt vorzugehen. Es geht also nicht nur um das Instrumentarium, sondern auch um die Einstellung zu diesem Thema.

Wir haben bereits vielversprechende Fortschritte erzielt – vor allem beim SSM. Es liegt aber noch ein weiter Weg vor uns. Den Erfolg können wir nur gemeinsam erzielen. Ob mit der Bankenunion ein Systemwechsel bewirkt werden kann, hängt letztlich von der Kooperation und dem Engagement unzähliger Gesetzgeber, Regulierer und Aufseher ab. Hier ist Teamarbeit in Reinstform gefragt.

In diesem Sinne müssen wir verstärkt auf gemeinsame Schulungsmaßnahmen im Bereich Aufsicht setzen. Die European Supervisor Education Initiative ist ein Beispiel für einen gemeinsamen grenzüberschreitenden Ansatz, der als Ausgangspunkt dienen könnte.

Die Bankenunion sehe ich als ultimative Herausforderung unserer Zeit. Durch die Krise bietet sich uns die einzigartige Gelegenheit, die Sicherheit des Bankensektors zu erhöhen, unsere Währungsunion zu stärken und dabei den historischen Prozess der europäischen Integration weiter voranzubringen. Diese Gelegenheit ist ein Privileg – wir müssen sie ergreifen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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