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Laudatio für Hans Tietmeyer

Rede von Jean-Claude Trichet, Präsident der EZB
im Rathaus der Stadt Münster in Westfalen, 26. März 2010

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

sehr geehrter Herr Hillebrandt,

lieber Hans Tietmeyer,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

es ist mir eine große Freude, die Laudatio auf meinen lieben Freund Hans Tietmeyer zu halten. Die Stiftung Westfalen-Initiative hat eine gute Entscheidung getroffen: Sie nimmt Hans Tietmeyer gemeinsam mit Freiherrn vom Stein (1757-1831) in die Westfälische Ehrengalerie auf.

Mit der Aufnahme in die Ehrengalerie werden wichtige Persönlichkeiten Westfalens für ihre Verdienste um die Region geehrt. Die Verdienste von Hans Tietmeyer reichen freilich, ebenso wie die des Freiherrn vom Stein, weit über Westfalen hinaus.

Die historische Bedeutung dieses Rathauses reicht ebenfalls weit über Westfalen hinaus. Hier wurden wichtige Weichen für Europa gestellt, als vor über 360 Jahren der Westfälische Friede ausgehandelt und vereinbart wurde. Die Friedensverträge von Münster und Osnabrück waren die Grundlage für die europäische Friedensordnung nach dem 30jährigen Krieg.

An wichtigen Weichenstellungen für Europa war auch Hans Tietmeyer beteiligt. Die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion wurden von ihm maßgeblich mitgestaltet. Die Einführung der gemeinsamen Währung ist der vorläufige Höhepunkt der Geschichte der europäischen Integration. Die europäische Integration ist seit sechs Jahrzehnten Garant für Wohlstand und Frieden in Europa.

Heute steht Europa erneut vor wichtigen Weichenstellungen. Durch die globale Finanzkrise ergeben sich große Herausforderungen für die europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik. Am Ende meiner Rede werde ich darauf zurückkommen.

Ich hatte über viele Jahre das Glück, mit Hans zusammenzuarbeiten. In den Jahren zwischen 1987 und 1999 war unsere Verbindung besonders eng. Zunächst war Hans Staatssekretär im Finanzministerium und ich Direktor des Schatzamtes. Später waren wir beide gleichzeitig Präsidenten unserer nationalen Zentralbanken. Mit Gründung der EZB wurden wir beide Mitglied des EZB-Rates. Es war übrigens Hans, der vorschlug, die Sitzordnung im EZB-Rat nicht nach dem Herkunftsland zu bestimmen. Stattdessen solle die alphabetische Reihenfolge der Namen vorgeben, wer neben wem sitzt. Denn schließlich sind die Mitglieder des EZB-Rates Vertreter des gesamten Euro-Raums.

Vielleicht wollte Hans aber auch einfach nur neben mir sitzen. Zwischen Tietmeyer und Trichet passt eben auch im Alphabet nicht viel. Ich habe die Zusammenarbeit mit ihm immer sehr geschätzt. Und ich habe viel von ihm über Deutschland gelernt.

Hans Tietmeyers Amtszeit als Bundesbankpräsident war von Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten begleitet. Verglichen mit der jüngsten, globalen Finanzkrise waren die Mexikokrise und die Asienkrise aus europäischer Sicht weniger dramatisch. Hans Tietmeyer hat gleichwohl frühzeitig erkannt, welche Gefahren in einer globalisierten Weltwirtschaft von instabilen Finanzmärkten ausgehen. Seiner Initiative ist deshalb die Gründung des Finanzstabilitätsforums (FSF) im Jahre 1999 zu verdanken. Zehn Jahre später, als eine der Reaktionen auf die globale Finanzkrise, ist das FSF zum Financial Stability Board (FSB) aufgewertet worden. Der Teilnehmerkreis wurde vergrößert und das Aufgabengebiet erweitert. Das FSB ist so zu einer zentralen Institution bei der Reform des internationalen Finanzsystems geworden.

Hans Tietmeyers Bundesbankzeit war aber vor allem geprägt von den Vorbereitungen auf die Währungsunion. Sein beharrliches Eintreten für Regeln, die die gemeinsame Währung stabil machen, hat sich als vollkommen richtig erwiesen. Mittlerweile profitieren etwa 330 Millionen Bürgerinnen und Bürger davon, dass sie eine stabile Währung im Portemonnaie haben, die mindestens so „hart wie die D-Mark“ ist.

Der Euro – eine stabile Währung

Der Euro ist so stark wie seine stabilsten Vorgängerwährungen. Die EZB hat für Preisstabilität im Euro-Raum gesorgt. Am Ende dieses Jahres wird die durchschnittliche Inflationsrate seit 1999 aller Voraussicht nach bei ungefähr 1,95 %, also knapp unter 2 % liegen.

Den Vergleich mit der D-Mark braucht der Euro deshalb nicht zu scheuen: Die durchschnittliche Inflationsrate in Deutschland lag in den neunziger Jahren vor Einführung des Euro bei 2,2 %. In den achtziger Jahren lag sie bei 2,9 %. Auch wenn es manche immer noch nicht glauben wollen: Der Euro ist kein „Teuro“!

Preisstabilität ist jedoch beileibe nicht der einzige Vorteil, den Deutschland durch die Währungsunion hat. In der Finanzkrise hätte es ohne den Euro gewiss zusätzliche Turbulenzen auf den Währungsmärkten gegeben. Diese hätten auch der deutschen Wirtschaft zusätzlich geschadet.

Wer wie Hans und ich die EWS-Krise als direkt Beteiligter miterlebt hat, weiß, wovon er spricht. In seinem Buch „Herausforderung Euro“ überschreibt er seine Erinnerungen an 1992 und 1993 treffend mit „monetäres Erdbeben“ und „schweres Nachbeben“. Die Überwindung der damaligen Krise gehört ebenfalls zu den bleibenden Verdiensten Hans Tietmeyers. Die monetäre Integration Europas hätte damals auch scheitern können.

Preisstabilität ist zweifellos der beste Beitrag der Zentralbanken zum Wohle der Bürger. Gleichwohl nehmen viele Bürger die Handlungen der Zentralbanken nicht immer unmittelbar wahr. Zudem ist der Mechanismus der Transmission geldpolitischer Entscheidungen sehr komplex. Umso wichtiger ist es deshalb, dass die Menschen auf die Gewährleistung von Preisstabilität vertrauen können.

Im Falle der EZB und des Eurosystems können sie darauf vertrauen. Preisstabilität ist unser vorrangiges Ziel. Nach Definition des EZB-Rates bedeutet Preisstabilität, dass der Harmonisierte Verbraucherpreisindex im Euro-Raum mittelfristig um weniger als 2 % steigt. Der EZB-Rat hat zudem klargestellt, dass er einen Anstieg von „unter, aber nahe 2 %“ anstrebt.

Mit Hilfe dieser quantitativen Definition ist es uns gelungen, die Inflationserwartungen auf niedrigem Niveau fest zu verankern. Dies hat uns sowohl in Phasen zunehmenden als auch nachlassenden Inflationsdrucks sehr geholfen.

Die niedrigen Inflationserwartungen haben sich die Zentralbanken vor allem durch eine glaubwürdige Stabilitätsorientierung über Jahrzehnte hinweg hart erarbeitet. Für den Erfolg der Geldpolitik sind sie eine wichtige Grundlage. Ein schwerer Fehler wäre es daher, künftig höhere Inflationsraten anzustreben. Ich habe deshalb schon mehrfach betont, dass ich diese Idee entschieden ablehne. Die „Büchse der Pandora“ muss geschlossen bleiben! Eine Aufweichung unseres Stabilitätsziels kommt nicht in Frage.

Preisstabilität nützt uns allen. Preisstabilität sichert die Kaufkraft und den Wert der Ersparnisse. Preisstabilität verhindert willkürliche Umverteilung. Nur bei Preisstabilität wirkt der Preismechanismus effizient und transparent. Er ist das zentrale Steuerungsinstrument unserer Marktwirtschaft.

Unabhängigkeit als Garant stabilitätsorientierter Geldpolitik

Eine wichtige Voraussetzung für die Gewährleistung von Preisstabilität ist die Unabhängigkeit der Zentralbanken. Zu dieser Erkenntnis haben schmerzhafte Lernprozesse in der Geschichte des Notenbankwesens geführt. Deutschland war eines der ersten Länder mit einer unabhängigen Zentralbank. Ich selbst war Gouverneur der Banque de France, als sie vollkommen unabhängig wurde. Das Modell der unabhängigen Zentralbank wurde „europäisiert“ und zum Vorbild für die EZB. Am 1. Januar 1994 – vor mehr als 16 Jahren – konnte ich persönlich feststellen, welch enormen Unterschied es macht, wenn man einer vollkommen unabhängigen Institution vorsteht.

Mittlerweile ist es auch theoretisch und empirisch längst belegt worden: Für niedrige und stabile Inflationsraten zu sorgen gelingt Zentralbanken besser, wenn sie unabhängig sind. Unabhängigkeit bedeutet freilich nicht Beliebigkeit. Vielmehr ist Unabhängigkeit an ein konkretes Ziel gebunden. Und Unabhängigkeit verlangt Rechenschaft abzulegen. Im Falle der EZB sieht das Mandat die Gewährleistung von Preisstabilität als vorrangiges Ziel vor.

Die quantitative Definition von Preisstabilität trägt nicht nur zur Verankerung der Inflationserwartungen bei. Sie bietet den Bürgern auch einen objektiven Maßstab, mit dem sie unsere Arbeit beurteilen können.

Das Mandat und die Unabhängigkeit des Eurosystems sind in den europäischen Verträgen festgelegt. Sie haben quasi Verfassungscharakter. Die Geldpolitik ist dem Zugriff der nationalen Politik entzogen. Gleichwohl kann sich auch die EZB nicht über einen Mangel an Ratschlägen aus der Politik beklagen. Dies ist gewissermaßen Tradition bei unabhängigen Zentralbanken. Ich erinnere nur an Adenauers berühmte „Fallbeilrede“ im Jahre 1956.

Ein halbes Jahrhundert später unternahmen Staats- und Regierungschefs den – ebenfalls erfolglosen – Versuch, die Geldpolitik der EZB zu beeinflussen. Als sich in den Jahren 2003 und 2004 das Wachstum abschwächte, drängten die damaligen Staats- und Regierungschefs der drei großen Länder im Eurogebiet zu einer unmittelbaren Zinssenkung. Der EZB-Rat lehnte dies ab, und ich berief mich mit Stolz auf den Präzedenzfall Adenauer. Später, Ende 2005, warnten viele Regierungen davor, die Zinsen zu erhöhen. Tatsächlich haben wir die Zinsen erhöht. Die EZB hat sich an ihr Mandat gehalten, und heute bestreitet keiner, dass unsere Entscheidungen richtig waren. Damals standen wir jedoch stark unter Druck – und haben ihm standgehalten.

Bezeichnend ist, dass sich Kritik an unabhängigen Zentralbanken in den meisten Fällen an restriktiven Entscheidungen entzündet. Expansive Politik wird selten kritisiert. Daran zeigt sich, dass etliche Interessenvertreter und auch Politiker, die häufig unter kurzfristigem Druck stehen, nicht den gleichen Zeithorizont wie Geldpolitiker haben.

Die EZB ist unabhängig. Sie erlaubt keiner Regierung, Institution oder Lobbygruppe, ihre geldpolitischen Entscheidungen zu beeinflussen. Die Bürger in Deutschland und Europa können sich darauf verlassen, dass wir Preisstabilität auch in den kommenden Jahren gewährleisten werden. Wir werden unser Mandat genauso konsequent verteidigen wie in den ersten elf Jahren der Währungsunion.

Geldpolitik, die kurzfristige Ziele verfolgt, ist zum Scheitern verurteilt. Die Langfristorientierung hebt die unabhängigen Zentralbanken indes auch vom kurzfristigen Denken auf den Finanzmärkten ab. Die globale Finanzkrise ist auch ganz wesentlich eine Folge von kurzfristigem Denken.

Herausforderungen durch die Finanzkrise

Die Bewältigung der Finanzkrise und ihrer wirtschaftlichen Folgen ist zur großen Herausforderung für uns alle geworden. Regierungen und Zentralbanken mussten massiv intervenieren, um das Finanzsystem und die Realwirtschaft zu stabilisieren.

Mit den geldpolitischen Maßnahmen des Eurosystems konnten die Inflationserwartungen auch während der Krise stabil gehalten werden. Unsere Interventionen waren von Anfang an so angelegt, dass wir sie einfach zurücknehmen können, sobald sich das Umfeld verbessert. Das Ziel der Preisstabilität haben wir zu keinem Zeitpunkt aus den Augen verloren.

Die Budgetdefizite der Nationalstaaten sind krisenbedingt kräftig angestiegen. Wachsende Schulden bergen nicht nur Potenzial für zunehmende Konflikte zwischen Finanzpolitik und Geldpolitik. Sie belasten vor allem die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen in den betroffenen Ländern. Deshalb ist es im Interesse jedes einzelnen Landes, möglichst schnell zu soliden Staatsfinanzen zurückzukehren.

Gerade jetzt, wo Europa erneut vor wichtigen Entscheidungen steht, ist es wichtiger denn je, dass man erkennt: Eine erfolgreiche Gemeinschaft erfordert das entschlossene Handeln aller. Das Wichtigste ist, dass die europäischen Politiker ihrer Verantwortung gerecht werden. Wie ich gestern Abend sagte, hat der EZB-Rat stets betont, dass die gegenseitige Überwachung der Wirtschaftspolitik innerhalb des Eurogebiets erhalten und gestärkt werden muss, dass die Vorgaben des Vertrags und der Stabilitäts- und Wachstumspakt strikt einzuhalten sind, und dass eine möglichst effektive Funktionsweise von Kommission und Eurogruppe wünschenswert ist. Der EZB-Rat unterstreicht insbesondere die so wichtige kollegiale Verantwortung der Regierungsmitglieder in der Eurogruppe für Fiskalpolitik, für die Überwachung der relativen Wettbewerbsfähigkeit und für Strukturreformen. Ich bin daher zufrieden, dass die Staats- und Regierungschefs des Eurogebiets eine Lösung zur Umsetzung ihrer vorigen Erklärung, „entschlossene und koordinierte Maßnahmen zu treffen, falls notwendig“, finden konnten, die dieser führenden Verantwortung Europas gerecht ist.

Die Währungsunion ist mehr als ein monetäres Arrangement.

Die Währungsunion ist eine Schicksalsgemeinschaft. Hans Tietmeyer hat dies übrigens schon vor vielen Jahren gesagt. Und nicht zu vergessen: Wir sind auch eine Wertegemeinschaft.

Der beste Beitrag, den die Zentralbanken für die Stabilität des Finanzsystems leisten können, ist Preisstabilität. Preisstabilität ist sogar eine notwendige Bedingung für Finanzstabilität. Hinreichende Bedingung ist sie jedoch nicht. Finanzstabilität liegt in der Verantwortung vieler. Und alle müssen ihrer Verantwortung gerecht werden.

Die Krise hat Schwachstellen im institutionellen Regelwerk offen gelegt. Bislang ist es nur unzureichend gelungen, alle Mitgliedstaaten zu einer Politik zu bewegen, die im Einklang mit unserer Maßgabe steht. Finanzpolitik, Lohnpolitik und strukturpolitische Maßnahmen müssen in Einklang mit unserem Stabilitätsziel von knapp 2 % gebracht werden. Ich bin überzeugt: Wir werden Wege finden, dies zu erreichen.

Schluss

Lassen Sie mich, bevor ich zum Ende komme, noch eine kurze Anekdote erzählen.

Als Raymond Barre einst Premierminister war [1976-1981], fragte er mich einmal, ob ich als Mitarbeiter des Schatzamtes oft nach Brüssel reise. Da müsse ich Monsieur Tietmeyer treffen, und er fügte hinzu: „Er ist sehr einflussreich, aber er ist ein zäher Verhandlungspartner. Ich wünsche Ihnen, wenn Sie Angelegenheiten mit ihm zu diskutieren haben, viel Glück!“ Das war ein großes Kompliment. Deutschland und Europa haben Hans Tietmeyer viel zu verdanken. Er hat sich entschieden dafür eingesetzt, dass der Euro eine stabile Währung wird.

Heute, nach der Bewältigung der schwersten Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg, können wir feststellen: Der Euro ist seit seiner Einführung eine stabile Währung, und die Währungsunion ist eine stabile Gemeinschaft. „Herausforderung Euro“ lautet der Titel des bereits erwähnten Buches von Hans Tietmeyer. Ich bin sicher, dass der Euro die Herausforderungen bestehen wird.

Vielen Dank.

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