Suchoptionen
Startseite Medien Wissenswertes Forschung und Publikationen Statistiken Geldpolitik Der Euro Zahlungsverkehr und Märkte Karriere
Vorschläge
Sortieren nach

10 Jahre Euro: Erfolge und Herausforderungen im Lichte der aktuellen Finanzmarktentwicklungen

Rede von Gertrude Tumpel-Gugerell, Mitglied des Direktoriums der EZBHochschule Karlsruhe, 6. Mai 2009

1. Einleitung

Als Professor Krämer und ich vor einem Jahr den heutigen Termin vereinbart haben, standen die Diskussionen unter dem Eindruck der ersten neun Monate der Finanzmarktturbulenzen. Die Notenbanken hatten reagiert und zusätzliche Finanzmittel in Form von Reserven den Banken bereitgestellt, um besonders den Geldmarkt zu stabilisieren.

Heute – ein weiteres Jahr später – sind zu den Herausforderungen, vor denen wir damals standen, noch einige dazugekommen. Gerne bin ich daher heute nach Karlsruhe gekommen, um über die aktuellen Herausforderungen der Geldpolitik und über die Erfahrungen der ersten 10 Jahre des Euros zu sprechen. Ich freue mich an der Hochschule Karlsruhe zu sprechen, die sich seit ihrer Gründung 1878 als „Großherzogliche Badische Baugewerkeschule“ zur – wie ich Ihrer Webseite entnehmen konnte, für Personalchefs beliebtesten Fachhochschule Deutschlands entwickelt hat. Damals im 19. Jahrhundert, zur Zeit der „Großherzoglich Badischen Baugewerkeschule“, war die Mark offizielles Zahlungsmittel und Deutschland hatte 1873 den Goldstandard angenommen. Innerhalb dieses Währungsarrangements legte jedes Land den Wert seiner Währung im Verhältnis zum Gold fest. Die Münzen wurden aus Gold geprägt, und Banknoten konnten vollständig bei der Notenbank in Gold getauscht werden. Somit waren über die gemeinsame Basis, das Gold, auch die Wechselkurse gegenüber anderen Ländern festgelegt, die am Goldstandard teilnahmen. Für einen US-Dollar musste man daher beispielsweise 4,20 Mark bezahlen.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde der Goldstandard aufgegeben. Für den Wert der Banknoten gab es folglich keinen verlässlichen Anker mehr. In den Jahren 1922 und 1923 kam es zu einer Hyperinflation, da mehr und mehr Geld gedruckt wurde, um die Staatsausgaben zu finanzieren. So musste man im Jahre 1923 etwa 4,2 Mrd Mark für einen US-Dollar zahlen. Misstrauen, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in Deutschland waren die Folge, was dazu führte, dass die demokratischen Grundprinzipien untergraben und letztlich der Boden für den Zweiten Weltkrieg bereitet wurde.

Damit sich eine Hyperinflation wie in den Zwischenkriegsjahren nicht wiederholt, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die Bundesbank mit einem hohen Maß an Unabhängigkeit ausgestattet. In den über 50 Jahren des Bestehens der Deutschen Mark belief sich der jährliche Verbraucherpreisanstieg auf durchschnittlich 2,8 %. In diesem Zeitraum, insbesondere in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts verzeichneten viele andere Länder deutlich höhere Inflationsraten. Daher standen viele Menschen in Deutschland dem Beginn der Währungsunion vor zehn Jahren skeptisch gegenüber. Heute wissen wir, dass diese Skepsis unbegründet war.

Lassen Sie mich daher im ersten Teil meiner Rede den Erfolg des Euro in den ersten zehn Jahren beschreiben und auch darauf eingehen, warum es aus ökonomischer, aber auch sozialer Sicht so wichtig ist, dauerhaft stabile Preise zu haben. Anschließend möchte ich mich mit einigen der zentralen Herausforderungen, die sich uns derzeit stellen, beschäftigen und erste Lehren aus der gegenwärtigen Finanzkrise ziehen. Außerdem möchte ich auf die Frage eingehen, wo wir heute in Europa ohne den Euro stünden.

2. Der Erfolg des Euro

Vor zehn Jahren, am 1. Januar 1999, wurde der Euro als einheitliche Währung von 11 Mitgliedstaaten der Europäischen Union eingeführt. Dies war ein einzigartiger Schritt, dem viele Jahre gründlicher Vorbereitung vorausgegangen waren. Inzwischen wird der Euro von rund 330 Millionen Bürgern in 16 europäischen Ländern verwendet. Er hat sich als stabile Währung etabliert und wird an den Finanzmärkten weltweit akzeptiert. Ein Blick auf die Inflationsentwicklung in den ersten zehn Jahren der Währungsunion zeigt, dass die EZB ihren im Maastrichter Vertrag verankerten Auftrag erfüllt hat, Preisstabilität für das Eurogebiet insgesamt zu gewährleisten.

Mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von etwas über 2 % in diesem Zeitraum blickt das Eurogebiet auf ein Jahrzehnt stabiler Preise zurück. Dies steht im Gegensatz zu den Befürchtungen, die – insbesondere in Deutschland – vor der Einführung des Euro herrschten, dass der Euro nicht so stabil sein würde wie die Deutsche Mark und dass die neu gegründete, supranationale Europäische Zentralbank nicht in der Lage sein würde, ihren Stabilitätsauftrag zu erfüllen. Tatsächlich hat der Euro in den ersten zehn Jahren im Durchschnitt ebenso seinen Wert gehalten wie die D‑Mark in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts.

Dieser Erfolg ist umso bemerkenswerter, wenn man die zahlreichen Preisschocks der letzten zehn Jahre bedenkt, und vor allem den kontinuierlichen Ölpreisanstieg zwischen 1999 und Mitte 2008. In diesem Zeitraum stiegen die Rohölpreise von rund 10 USD je Barrel im Jahr 1999 auf einen Höchststand von nahezu 150 USD je Barrel in 2008. Die Nahrungsmittelpreise am Weltmarkt zogen ebenfalls erheblich an. Ferner wurden – aus binnenwirtschaftlicher Sicht – in den meisten Euro-Ländern die indirekten Steuern und wichtige administrierte Preise in den ersten zehn Jahren nahezu regelmäßig angehoben. Wie Abbildung 1 zu entnehmen ist, verlief die Inflationsentwicklung im Eurogebiet im Vergleich zum Zeitraum vor 1999 ausgesprochen positiv.

[Abbildung 1. Inflationsraten vor und nach Gründung der WWU]

Die längerfristigen Inflationserwartungen konnten über die vergangenen zehn Jahre auch fest auf einem stabilitätsgerechten Niveau verankert werden. In Abbildung 2 sind verschiedene Messgrößen der Inflationserwartungen zu sehen, die auf Umfragen basieren und von Markterwartungen abgeleitet sind. Alle Messgrößen zeigen an, dass die Inflationserwartungen dem Ziel des EZB-Rats, die Teuerungsrate unter, aber nahe 2 % zu halten, weitgehend entsprechen. Dies bedeutet, dass die Marktteilnehmer darauf vertrauen, dass die EZB ihrer Verpflichtung, die Preisstabilität auf mittlere Sicht zu gewährleisten, auch weiterhin nachkommen wird. Dies spiegelt vor allem das reibungslose Funktionieren und die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik der EZB wider.

[Abbildung 2. Verschiedene Messgrößen der Inflationserwartungen]

Fest verankerten Inflationserwartungen sind eine Voraussetzung für solides Wirtschaftswachstum, zusätzliche Arbeitsplätze und Vertrauen bei Vermögens- und Ersparnisbildung. Niedrige Inflationsraten und fest verankerte Inflationserwartungen, sowohl im historischen als auch im internationalen Vergleich, haben zu niedrigen nominalen und realen Zinssätzen im gesamten Euroraum geführt. Die niedrigen Zinsen und die damit zusammenhängenden geringen Finanzierungskosten haben sich günstig auf die Investitionen und die Beschäftigung im Euroraum ausgewirkt.

Viele Euro-Kritiker hatten vor der Gründung der Währungsunion weniger positive Ergebnisse im Hinblick auf die Preisstabilität, die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik und die institutionelle Solidität erwartet. Insbesondere wurde immer wieder angeführt, dass die gemeinsame Geldpolitik der EZB zu Problemen führen könnte, weil eine einheitliche Vorgehensweise in Form einer gemeinsamen Geldpolitik angesichts bestehender wirtschaftlicher und struktureller Unterschiede zwischen den an der Währungsunion teilnehmenden Ländern nicht allen Mitgliedstaaten der Währungsunion gleichermaßen gerecht werden würde. Für Länder mit niedrigem Wachstum wäre eine solche Geldpolitik zu restriktiv, für Länder mit hohen Wachstumsraten hingegen zu locker, in jedem Fall aber kontraproduktiv. Auch wurde argumentiert, dass die Finanzpolitik der einzelnen Mitgliedstaaten nicht mit der von einer supranationalen Zentralbank durchgeführten Geldpolitik vereinbar wäre. Schließlich wurden Zweifel geäußert, ob die Präsidenten und Gouverneure der nationalen Zentralbanken als Mitglieder des EZB-Rats in der Lage wären, auch wirklich europäisch zu denken und sich nicht von den nationalen Interessen ihrer jeweiligen Länder leiten zu lassen.

Zehn Jahre später besteht breite Übereinstimmung darüber, dass der Euro – gemessen an den Erfolgen im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik und die erreichte Preisstabilität – eine durchweg positive Bilanz vorweisen kann. Keine der oben genannten Befürchtungen ist eingetreten. Dies zeugt davon, dass das Eurosystem – die EZB und die nationalen Notenbanken der an der Währungsunion teilnehmenden Länder - solide aufgestellt sind und dass die geldpolitischen Entscheidungen der EZB auf gemeinsamen Werten und Grundsätzen beruhen.

Von dem österreichischen Ökonomen Joseph A. Schumpeter stammt die Behauptung, „daß sich im Geldwesen eines Volkes alles spiegelt, was dieses Volk will, erleidet, ist. ..... Nichts sagt so deutlich, aus welchem Holz ein Volk geschnitzt ist, wie das, was es währungspolitisch tut.“ Lassen Sie mich daher kurz erläutern, warum es so wichtig ist, Preisstabilität auf mittlere Sicht zu gewährleisten, und welche die wesentlichen Vorteile dauerhaft stabiler Preise sind. Zunächst einmal fördert Preisstabilität das Vertrauen in werthaltiges Geld und in Eigentumsrechte allgemein. Vor allem wahrt sie die Kaufkraft des Geldes und schützt den Realwert von Einkommen und Wohlstand. Sie ist auch wichtig für die sozial schwachen Gruppen der Gesellschaft, die am meisten unter hohen und volatilen Teuerungsraten zu leiden haben. Auf diese Weise tragen stabile Preise auch zum Zusammenhalt der Gesellschaft bei.

Stabile Preise sind eine Grundvoraussetzung für nachhaltiges Wachstum und zusätzliche Arbeitsplätze. Generell, kommt Preisen in der Volkswirtschaft eine zentrale Signalfunktion zu. Ein höherer Preis zeigt dem Produzenten eines bestimmten Gutes an, mit der Produktion fortzufahren oder diese zu erhöhen. Er liefert einen Hinweis auf die relative Knappheit der betreffenden Ware im Vergleich zu anderen Waren. Gleichermaßen signalisiert ein niedriger Preis dem Produzenten, die Produktion seines Gutes zu verringern oder einzustellen. Ohne Preisstabilität verlieren Preise indes ihre Signalfunktion, da nicht länger klar ist, ob eine beobachtete Preisänderung darauf zurückzuführen, das sich die relativen Knappheiten der entsprechenden Ware im Vergleich mit anderen Gütern oder aber eher das allgemeine Preisniveaus verändert haben. Bei hoher und volatiler Inflation lassen sich diese zwei Ursachen nur schlecht voneinander abgrenzen; für die Produzenten ist es in dieser Situation schwierig zu beurteilen, ob sie die Produktion erhöhen sollen oder nicht. Preisstabilität auf mittlere Sicht verringert außerdem das Anlegerrisiko und trägt somit zu niedrigeren Zinssätzen bei. Hierdurch erhöht sich die Rentabilität von Investitionsprojekten, was wiederum zu höherer Beschäftigung und stärkerem Wirtschaftswachstum führt.

Die letzten zehn Jahren haben auch gezeigt, dass die Preisstabilität mit Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum einhergeht In den ersten zehn Jahren der gemeinsamen europäischen Währung stieg die Zahl der Beschäftigten um rund 18 Millionen. Dies entspricht einem jährlichen Anstieg um fast 1,3 % (siehe Abbildung 3). Damit wurde ein besseres Ergebnis erzielt als in den 1990er Jahren, in denen weniger als 8 Millionen neue Jobs geschaffen wurden, was einem durchschnittlichen jährlichen Anstieg von 0,6 % in diesem Zeitraum entspricht. Dies ist natürlich nicht nur auf stabile Preise zurückzuführen. Die Beschäftigungsentwicklung hängt von vielen Faktoren ab. Die Entwicklungen über die letzten zehn Jahre bestätigen jedoch eindrucksvoll, dass eine auf Preisstabilität ausgerichtete Geldpolitik durchaus damit vereinbar ist, dass neue Arbeitsplätze entstehen. Preisstabilität trägt dazu bei, dass erforderliche Unternehmensumstrukturierungen nicht auf die lange Bank geschoben werden. Außerdem werden Löhne stärker nach Sektoren, Regionen und Qualifikationen differenziert. All das wirkt sich positiv auf Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung aus.

[Abbildung 3. Beschäftigung]

Gleichzeitig hat der Euro einen wichtigen Beitrag zur realwirtschaftlichen und finanziellen Integration in Europa geleistet. Die Vorteile des Binnenmarkts konnten durch die gemeinsame Währung besser genutzt werden. Die Handels- und Kapitalverflechtungen zwischen den Euro-Ländern haben erheblich zugenommen.

So ist beispielsweise der grenzüberschreitende Handel in Waren und Dienstleistungen im Eurogebiet seit der Einführung der einheitlichen Währung im Verhältnis zum BIP um 10 Prozentpunkte gestiegen (siehe Abbildung 4). Der Handel zwischen den einzelnen Euro-Ländern macht inzwischen etwa die Hälfte ihrer gesamten Exporte und Importe aus. Auch der Handel mit den Ländern außerhalb des Eurogebiets hat sich sehr dynamisch entwickelt.

[Abbildung 4. Handel zwischen den Ländern des Eurogebiets]

  • Der Euro hat den Wettbewerb, die Preistransparenz und die -konvergenz gefördert. Er hat die Transaktionskosten gemindert und das Wechselkursrisiko beseitigt.

  • Der Euro hat die Direktinvestitionen innerhalb des Euroraums angekurbelt. Die Zahl der Unternehmensfusionen und -übernahmen im Euroraum hat sich merklich erhöht.

  • Der Euro hat außerdem wesentlich zur Integration der Finanzmärkte in Europa beigetragen. Ein Beispiel hierfür ist der deutliche Anstieg der grenzüberschreitenden Wertpapieranlangen im Eurogebiet, wie in Abbildung 5 dargestellt.

[Abbildung 5. Grenzüberschreitendes Halten von im Euroraum begebenen kurzfristigen Schuldverschreibungen]

3. Die zentralen Herausforderungen der gegenwärtigen Finanzmarktturbulenzen

Lassen Sie mich nun auf die aktuellen Finanzmarktturbulenzen und ihre Auswirkungen zu sprechen kommen. Seit August 2007 finden erhebliche Korrekturen an den weltweiten Finanzmärkten statt. Die Auswirkungen dieser Turbulenzen waren zunächst im Finanzmarkt mit stark ansteigenden Risikoprämien und volatileren Zinsbewegungen sichtbar. In der Folge haben die Verwerfungen am Finanzmarkt zu einem kräftigen und synchron verlaufenden internationalen Wirtschaftsabschwung geführt, dem schärfsten Abschwung seit Beginn der Großen Depression im Jahre 1929. Daher stellt die derzeitige Krise sowohl die Finanzindustrie als auch die Zentralbanken, Aufsichts- und Regulierungsbehörden sowie nationalen Regierungen vor ernsthafte Herausforderungen.

Der Ausbruch der Finanzmarktturbulenzen kam jedoch nicht völlig unerwartet. In den Jahren vor der Krise hatten sowohl die EZB als auch andere Institutionen vor gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichten und der systematischen Unterbewertung von Risiken gewarnt.

Diese Jahre waren weltweit und auf Ebene des Euroraums durch eine längere Phase niedriger Zinsen, geringer Inflation und nachhaltigen Wirtschaftswachstums gekennzeichnet. Gleichzeitig war reichlich Liquidität vorhanden und die Ausfallsrisiken wurden von vielen als minimal eingestuft. In diesem Umfeld nahm die Risikobereitschaft der Anleger zu. Insbesondere die Erwartung der Finanzmarktteilnehmer, dass dieses Umfeld noch eine Weile fortbestehen würde, führte dazu, dass Risiken systematisch unterschätzt wurden, während die Suche nach immer höheren Renditen verstärkt wurde. Infolgedessen vergaben Geschäftsbanken bereitwillig – und ohne angemessene Bewertung der Kreditwürdigkeit und der Kreditausfallrisiken – Wohnungsbaukredite an private Haushalte, die sich diese Kredite ansonsten nicht hätten leisten können. Gleichzeitig wurden insbesondere in den Vereinigten Staaten eine Reihe innovativer und zunehmend komplexer Finanzprodukte angeboten, um höhere Renditen zu erzielen. Als Beispiel besonders zu erwähnen sind etwa Hypotheken, die in neuen und äußerst komplexen Produkten gebündelt und dann als neue Wertpapiere über die internationalen Finanzmärkte an Dritte verkauft wurden. Durch die Bündelung und Weitergabe von Hypotheken sollte das Gesamtrisiko gestreut werden. Das gelang allerdings nicht. Im Gegenteil, weil die Risiken letztendlich an Dritte weitergegeben wurden, gab es für die Kreditgeber nicht die entsprechenden Anreize, die Fähigkeit der Kreditnehmer zur Rückzahlung der Kredite sicherzustellen. Gleichzeitig wurden die Risiken häufig von denjenigen unterschätzt, die sie letztlich übernahmen.

Nach und nach wurde deutlich, dass diese Praxis nur so lange haltbar war, wie sich der Anstieg der Immobilienpreise in den Vereinigten Staaten fortsetzte. Als die langjährige Aufwärtsentwicklung ins Stocken geriet und die Immobilienpreise zu sinken begannen, traten schon bald Probleme auf – auch im Euroraum, denn die hier ansässigen Banken gehörten ebenfalls zu den Käufern dieser Papiere. Den Anlegern kamen plötzlich Zweifel hinsichtlich der Qualität ihrer Anlagen. Dies führte zu einer scharfen Preiskorrektur an den Finanzmärkten, die mit einem Abzug der Mittel von den Finanzmärkten einherging, was zu entsprechenden Liquiditätsengpässen bei den Banken führte.

Die Probleme traten zunächst im kurzfristigen Segment des Geldmarkts, bei der Kreditvergabe zwischen den Banken, auf. Normalerweise liegen die Geldmarktsätze in diesem Segment nahe bei den Leitzinsen der Zentralbanken. Abbildung 6 bildet die Differenz zwischen den erwarteten Zentralbankzinsen und den Marktzinsen ab. Wie Sie sehen, wurde im August 2007 ein plötzlicher Sprung verzeichnet. Hierin kommt zum Ausdruck, dass die Banken einander keine Kredite mehr gewährten, da sie befürchteten, dass ihre Geschäftspartner nicht in der Lage wären, die Kredite zurückzuzahlen. Um einen Kredit zu erhalten, musste die Bank höhere Zinsen zahlen, um das größere Risiko auszugleichen. Aus der Abbildung lässt sich auch ersehen, dass sich der Abstand im Gefolge des Zusammenbruchs von Lehman Brothers im September letzten Jahres dramatisch ausweitete. In den letzten Monaten hat sich diese Differenz allerdings wieder erheblich verringert, auch wenn sie nach wie vor deutlich größer ist als vor den Finanzmarktturbulenzen.

[Abbildung 6. Spreads am Geldmarkt]

Seit sich die Anspannungen am Finanzmarkt verschärft haben, ist der Bankensektor mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. So belaufen sich die ausgewiesenen kumulierten Abschreibungen und Kreditmarktverluste europäischer Banken bislang auf fast 360 Milliarden USD bzw. rund 270 Mrd EUR. Die Probleme der Banken spielen eine entscheidende Rolle für die verhaltene Vergabe von Krediten an Firmen und private Haushalte im Euroraum. Dies liegt zum einem an dem Abbau von Fremdkapitalpositionen in den Bilanzen der Banken und der generellen Verschärfung der Kreditrichtlinien. Zum anderen, hat sich die Kreditnachfrage infolge der allgemeinen Konjunkturabkühlung reduziert. Die Entwicklung der Kreditentwicklung hat realwirtschaftliche Konsequenzen, das sie vornehmlich für die Entwicklung der Investitionstätigkeit eine entscheidende Rolle spielt.

Reaktionen auf die Krise

Seit Beginn der Krise hat die EZB entschlossen und angemessen gehandelt. Sie hat eine Reihe von Maßnahmen getroffen, die in Art, Umfang und Zeitpunkt ohne Beispiel sind. Die Liquiditätshilfen der EZB für Banken waren ausgesprochen umfangreich. Als im August 2007 die ersten Spannungen auftraten, reagierte die EZB als erste Zentralbank weltweit. Durch Änderungen ihres Handlungsrahmens stellte sie sicher, dass alle solventen Banken über ausreichend Zugang zu Finanzierungsmitteln verfügten. Als die Krise sich im September letzten Jahres verstärkte, führten wir eine Reihe neuer Maßnahmen ein. Insbesondere stellten wir den Banken für bis zu sechs Monate unbegrenzt Liquidität zu festgelegten Sätzen zur Verfügung. Die EZB hat auch das Verzeichnis der für Kreditgeschäfte des Eurosystems zugelassenen Sicherheiten ausgeweitet.

Infolge dieser neuen Maßnahmen hat sich die Bilanzsumme des Eurosystems erheblich erhöht (um 600 Mrd EUR) und beläuft sich nun auf 16 % des BIP, gegenüber einem Wert von 10 % zur Jahresmitte 2007, wobei in diesem Zeitraum einige Schwankungen verzeichnet wurden. Hierin spiegelt sich die Ausweitung der Liquiditätsversorgung des Bankensystems wider, die für den Euroraum eine entscheidende Rolle bei der Finanzierung der Wirtschaft spielt. In anderen wichtigen Wirtschaftsregionen kommt der Finanzierung über Schuldverschreibungen, die in gravierenderem Maße beeinträchtigt worden ist, größere Bedeutung zu. In dieser Hinsicht wurden alle unkonventionellen Liquiditätsmaßnahmen der EZB auf die Bedürfnisse des Euroraums zugeschnitten. Sie haben vor allem zu einer Lockerung der bilanziellen Restriktionen der Banken geführt und somit sicherlich dazu beigetragen, eine abrupte Unterbrechung des Kreditangebots und das Entstehen einer systemischen Krise zu verhindern.

Im Einklang mit der erheblichen Abschwächung der weltweiten Nachfrage und der Wirtschaftstätigkeit haben der Inflationsdruck und die Risiken nachgelassen. Infolgedessen wurden die EZB-Leitzinsen seit der Verschärfung der Krise im Oktober letzten Jahres um 3 Prozent-Punkte herabgesetzt. Diese Zinssenkungen und die Maßnahmen zum Liquiditätsmanagement haben sich deutlich auf die Geldmarktzinsen ausgewirkt. Seit Oktober letzten Jahres sind die Tagesgeldsätze am Geldmarkt noch stärker gefallen als die EZB-Leitzinsen. Die Geldmarktsätze im Euroraum liegen inzwischen im internationalen Vergleich auf einem sehr niedrigen Niveau. Auch haben niedrigere Geldmarktzinsen bereits zu geringeren Zinsen für private Haushalte und Unternehmen geführt, auch wenn die Zinsen am Geldmarkt bislang stärker zurückgegangen sind als die Kreditzinsen für private Haushalte und Unternehmen.

Auch die Finanzpolitik im Euroraum hat ihre Fähigkeit, rasch auf außergewöhnliche Umstände zu reagieren, unter Beweis gestellt. Die nationalen Regierungen im Eurogebiet haben ihr Vorgehen koordiniert und das Bankensystem unterstützt, und zwar vor allem durch Rekapitalisierungen und Garantien für Verbindlichkeiten und Aktiva. Das angekündigte Paket zur Stabilisierung des Finanzsektors durch diese Art von Maßnahmen belief sich auf 23 % des BIP im Euroraum. Der Fiskalimpuls – durch diskretionäre politische Maßnahmen und das Wirken der automatischen Stabilisatoren – beläuft sich für die Jahre 2009 und 2010 auf insgesamt 3,6 Prozentpunkte des BIP.

Alle diese Maßnahmen waren erforderlich, um das Funktionieren des Finanzsystems zu unterstützen, stellen aber gleichzeitig eine beträchtliche Belastung der öffentlichen Haushalte dar. Dadurch könnten die Schuldenstände und Defizitquoten erheblich zunehmen. In der Tat zählt nicht nur der Umfang der Konjunkturpakete, sondern es kommt auch darauf an, ob sie das Vertrauen steigern und die Effektivität verbessern können. Die während der Krise von den Regierungen im Euroraum getroffenen finanzpolitischen Maßnahmen haben die negativen Auswirkungen der Krise auf die Wirtschaft erfolgreich abgefedert, es bleibt aber unerlässlich, dass die Länder zu soliden Staatsfinanzen zurückkehren und damit glaubwürdig ihrer Verpflichtung nachkommen, die Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts einzuhalten.

Insgesamt gesehen haben das Eurogebiet und die EU während der aktuellen Finanzmarktturbulenzen unter Beweis gestellt, dass sie in schwierigen Situationen entschieden und unverzüglich handeln können. Die nationalen Maßnahmen wurden auf pragmatische Art und Weise koordiniert, damit sie sich in ihrer Effektivität gegenseitig verstärken.

Lehren aus der Krise

Die derzeitige Finanzkrise hat eine Reihe von Schwachstellen aufgezeigt, die beseitigt werden müssen, um in Zukunft vergleichbare Krisen zu vermeiden. Einige Mängel liegen in der derzeitigen Struktur des internationalen Finanzsystems begründet. Dies gilt vor allem für die mangelnde Transparenz und Rechenschaftspflicht aufseiten des Finanzsystems. Dabei liegt vieles in der Verantwortung der Finanzteilnehmer selber, Risiken besser zu bewerten und Risiken transparenter zu machen. Darüber hinaus gibt es verschiedene Initiativen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene, die insbesondere darauf abzielen, die Robustheit des Finanzsystems zu verbessern. Zwei neuere Berichte –, der Bericht der hochrangigen Expertengruppe für Finanzaufsicht unter dem Vorsitz von Jacques de Larosière, vormals Präsident der Banque de France und geschäftsführender Direktor des IWF, der Turner Bericht, verfasst von Lord Turner, dem Vorsitzenden der britischen Finanzaufsichtsbehörde (FSA) – enthalten eine Reihe wertvoller Ansätze für Reformen. Darüber hinaus hat eine Gruppe von Experten jüngst in einem Bericht über die Zukunft des niederländischen Bankensektors eine treffende Analyse der Schwachstellen des bestehenden Systems geliefert. [1]

Lassen Sie mich drei Bereiche hervorheben, in denen meiner Meinung nach Änderungen vonnöten sind: die Transparenz muss erhöht, die Prozyklizität muss eingedämmt und die institutionelle Struktur im Bereich der Finanzaufsicht und ‑regulierung muss verbessert werden.

Erstens muss der Finanzsektor transparenter werden. Es ist auffällig, dass sich trotz der Fortschritte der letzten Jahrzehnte im regulatorischen und im IT-Bereich einige Segmente der Finanzmärkte durch Produkte auszeichneten, die für Anleger – ganz zu schweigen von Ratingagenturen sowie Aufsichts- und Regulierungsbehörden – nur schwer zu verstehen und zu bewerten waren. Eine Möglichkeit ist, Produkte und Transaktionen zu standardisieren und sicherzustellen, dass Transaktionen über regulierte Börsen und Clearinghäuser durchgeführt werden. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass alle Institutionen, Märkte und Instrumente von systemischer Bedeutung einer angemessenen Regulierung und Aufsicht unterliegen. Hier wäre beispielsweise der Derivatemarkt zu nennen. Für die meisten dieser Finanzkontrakte gilt, dass die Konditionen von beiden Vertragsparteien vereinbart werden und dass sie außerbörslich („over-the counter“) gehandelt werden. Handelsaktivitäten auf diesen so genannten „OTC“-Derivatemärkten sind weitaus weniger reguliert and Nachhandelsinfrastrukturen sind weniger entwickelt als auf den Märkten für börsengehandelte Produkte. Angesichts der systemischen Relevanz dieser Märkte unterstützt die EZB den raschen Aufbau von verbesserten Nachhandelsinfrastrukturen, um ein effektiveres Management von Kredit- und operationellen Risiken zu ermöglichen und um die Transparenz dieser Märkte zu verbessern.

Zweitens müssen wir meiner Ansicht nach versuchen, die exzessive Prozyklizität des Finanzsystems einzudämmen. Damit meine ich, dass es in der Regel erheblich leichter ist, während eines Booms Finanzmittel zu erhalten, bei einem Wirtschaftsabschwung hingegen kommt es normalerweise zu einer Verschärfung der Kreditrichtlinien. Ebenso werden die Anlagerisiken in guten Zeiten für gewöhnlich systematisch unterschätzt, während sie in Krisenzeiten eher überschätzt werden. Auf diese Weise verstärkt das Finanzsystem den Boom und verschärft den Wirtschaftsabschwung. Genau dies konnten wir im Verlauf der aktuellen Krise beobachten. Ideal wäre ein Finanzsystem, das umgekehrt funktioniert, also den Boom dämpft und während eines Wirtschaftsabschwungs Anreize zur Stabilisierung bietet. Es gibt bereits erste Fortschritte, wie man der konjunkturverstärkenden Wirkung von Aufsichtsregeln entgegen wirken kann. Aktuell werden dazu Änderungen der regulatorischen Eigenkapitalvorschriften und der Rechnungslegung im Bereich Risikovorsorge diskutiert. Darüber hinaus gibt es Überlegungen die die Einführung einer Verschuldungsgrenze d.h. einer Leverage Ratio vorsehen. All diesen Maβnahmen gemeinsam, ist das Ziel, die Prozyklizität im Finanzsystem zu mildern und die Stabilität des Finanzsystems zu fördern.

Drittens ist eine weitere Lehre aus der derzeitigen Krise, dass der systemweite Ansatz zur Finanzmarktregulierung und –aufsicht ausgeweitet werden muss. Es reicht nicht, die Solidität einzelner Finanzinstitute zu gewährleisten. Die Stabilität des Finanzsystems insgesamt und nicht zuletzt die länderübergreifenden Verflechtungen zwischen den Komponenten des Finanzsystems müssen stärker in den Mittelpunkt rücken. Die De-Larosière-Gruppe regte an, der EZB mehr Verantwortung in diesem Bereich, d. h. dem Bereich der Systemaufsicht, zu übertragen. Konkret schlug diese Expertengruppe vor, einen „Europäischen Rat für Systemrisiken“ (European Systemic Risk Council) unter der Federführung der EZB zu errichten. Der neu gegründete Rat sollte vor allem die Aufgabe haben, Informationen zusammenzuführen und zu analysieren, relevante Entwicklungen zu beobachten, Empfehlungen zur Systemaufsicht auszusprechen und Risikowarnungen auszugeben.

Die EZB begrüßt diesen Vorschlag. Die Errichtung eines Europäischen Rates für Systemrisiken soll die Finanzstabilitätsrisikobewertung auf EU-Ebene deutlich verbessern. Damit der neue Rat seine Aufgaben optimal erfüllen kann, müssten drei Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens muss der EZB frühzeitiger Zugang zu den relevanten Informationen, auch über einzelne Finanzinstitutionen, gewährt werden. Zweitens sollten Risikowarnungen des neuen Rates effektive Maßnahmen nach sich ziehen. Drittens muss der neue Rat über eine solide institutionelle und rechtliche Grundlage verfügen, um bei seiner Beschlussfassung unabhängig und effektiv zu handeln.

Ich denke, dass die Krise auch einige Lehren für die Geldpolitik bereithält. Sie hat uns vor Augen geführt, dass ein stabiles Finanzsystem eine Voraussetzung für Preisstabilität ist. Es ist unumstritten, dass der Zentralbank ein Instrument – die Geldpolitik – zur Verfügung steht, um ein Ziel – die Gewährleistung von Preisstabilität – zu verfolgen. Umstrittener ist allerdings, welche Preise eine Zentralbank im Auge haben sollte.

Zentralbanker und Wirtschaftswissenschaftler erörtern seit langem die Frage, in welchem Maß die Geldpolitik Vermögenspreise berücksichtigen sollte. Die Definition der EZB von Preisstabilität legt sich auf einen bestimmten Preisindex fest, nämlich den Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI), mit dessen Hilfe überprüft werden soll, ob Preisstabilität erreicht ist. Da es sich beim HVPI um einen Verbraucherpreisindex handelt, sind Vermögenspreise wie beispielsweise Immobilienpreise und Aktienkurse nicht erfasst. Dies bedeutet nicht, dass Vermögenspreise aus geldpolitischer Sicht unbedeutend sind. Insoweit sich Änderungen der Vermögenspreise auf die Preisaussichten auswirken, muss eine Zentralbank, deren Ziel die Gewährleistung von Preisstabilität ist, auf diese Änderungen reagieren.

Es ließe sich argumentieren, dass Vermögenspreise bei geldpolitischen Überlegungen eine größere Rolle spielen sollten, und zwar eine Rolle, die noch über das eben genannte Beispiel hinausgeht. Dieser Argumentation zufolge sollte die Zentralbank versuchen, präventiv zu handeln, da die Bildung einer Vermögenspreisblase auf längere Sicht schwerwiegende ökonomische Konsequenzen haben könnte. Konkreter wird die Auffassung vertreten, dass eine Zentralbank die Zinssätze bereits bei gegebener Vermögenspreisinflation erhöhen sollte, auch wenn die Auswirkungen der Vermögenspreisinflation auf die Aussichten für die Verbraucherpreise nicht offensichtlich sind. In der Fachliteratur wird dieser Ansatz häufig auch als „Leaning-against-the-wind“-Strategie bezeichnet.

Die Berücksichtigung von Vermögenspreisen mag mit Schwierigkeiten verbunden sein. Dennoch sollten die geldpolitischen Entscheidungsträger versuchen, das Risiko der Bildung einer solchen Blase zu verringern, indem sie die möglichen Auswirkungen ihrer geldpolitischen Entscheidungen auf das Finanzsystem berücksichtigen.

Die Bewertung der Risiken für die Preisstabilität durch die EZB basiert auf einer umfassenden wirtschaftlichen und monetären Analyse, der sogenannten Zwei-Säulen-Strategie. Die erste Säule, die wirtschaftliche Analyse, ist den meisten Zentralbanken gemein. Die wirtschaftliche Analyse identifiziert im Wesentlichen Risiken für die Preisstabilität auf kurze bis mittlere Sicht, indem sie das Zusammenspiel von gesamtwirtschaftlichem Angebot und gesamtwirtschaftlicher Nachfrage untersucht. Als Teil dieser Analyse wird das Zusammenspiel einer Reihe von gesamtwirtschaftlichen und finanziellen Variablen betrachtet. Zu diesen Variablen gehören – um nur einige Beispiele zu nennen – die gesamtwirtschaftliche Produktion, die privaten Konsumausgaben, die Investitionen, die Finanzpolitik, die Kapitalmarkt- und Arbeitsmarktbedingungen, verschiedene Preis- und Kostenindikatoren, der Wechselkurs, die Weltwirtschaft, die Zahlungsbilanz und die Finanzmärkte.

Der zweiten Säule, der monetären Analyse, weist die EZB eine bedeutende Rolle zu. Die Analyse der Entwicklungen der Kreditvergabe, insbesondere der Kreditvergabe an den privaten Sektor, trägt dazu bei, die geldpolitisch relevanten Signale der monetären Entwicklung herauszufiltern. Im Rahmen dieser Analyse wird einer regelmäßigen Beobachtung der Vermögenspreisentwicklung und ihrer Folgen mehr Gewicht beigemessen. Diese Aspekte müssen in Zukunft noch umfassender und systematischer eingesetzt werden.

Die Stärkung der Rolle der EZB in der Finanzaufsicht soll dazu beitragen, dass bei geldpolitischen Entscheidungen die potenzielle Entstehung von finanziellen Ungleichgewichten angemessen berücksichtigt wird. Die jetzige Krise zeigt uns, dass Risiken für Finanzstabilität Risiken für die Preisstabilität mit sich bringen. Dies müssen Zentralbanken in der Analyse noch viel stärker berücksichtigen.

4. Die Vorteile des Euro in der aktuellen Krise

Wie bereits erwähnt, waren die ersten zehn Jahre des Euro ein großer Erfolg. Es liegt jedoch auf der Hand, dass die gegenwärtige Wirtschaftskrise bislang die größte Herausforderung für die einheitliche Währung darstellt.

Seien wir realistisch: 2009 wird ein schwieriges Jahr. Den jüngsten von Experten der EZB erstellten gesamtwirtschaftlichen Projektionen zufolge, die im März dieses Jahres veröffentlicht wurden, dürfte die Wirtschaft des Eurogebiets 2009 um 2,2 % bis 3,2 % schrumpfen. Die seitdem von anderen internationalen Institutionen veröffentlichten Prognosen fallen noch pessimistischer aus. Die Prognose der Europäischen Kommission beispielsweise sieht das Wachstum für 2009 bei -4%. Dies bedeutet – unter anderem - weniger Arbeitsplätze, eine höhere Arbeitslosigkeit, und weniger Investitionen und Exporte. Im Jahr 2009 werden den Banken, Unternehmen und privaten Haushalten Anpassungen abverlangt werden. Diese Anpassungen werden den Boden für die Rückkehr zu wieder stabileren und besseren wirtschaftlichen Bedingungen bereiten.

Trotzdem sollten wir nicht vergessen, wie Europa heute ohne den Euro dastehen würde. Neben den Finanzmarktturbulenzen, den Problemen im Finanzsektor und dem Wirtschaftsabschwung wären wir mit möglicherweise starken Schwankungen zwischen den nationalen Währungen der Länder Europas konfrontiert.

[Abbildung 7. Reale effektive Wechselkurse]

Wie der Abbildung 7 entnommen werden kann, schwankten die Währungen einiger Länder außerhalb des Euroraums während der aktuellen Krise stark. Sowohl die schwedische Krone als auch das britische Pfund haben seit September 2008 erheblich an Wert verloren und in einigen der neueren Mitgliedstaaten der EU traten noch umfangreichere Schwankungen der Kaufkraft ihrer Währungen auf. Dies stellt für die betroffenen Länder einen zusätzlichen Unsicherheitsfaktor dar und ein Vorteil des Euro hat sich während der Finanzmarktturbulenzen bestätigt: In rauer See lässt es sich auf einem großen Schiff besser reisen als auf einem kleinen Boot. Der Euro hat sich in schwierigen Zeiten als ein sehr wichtiges stabilisierendes Element erwiesen.

Auch die Tatsache, dass viele mittel- und osteuropäische Länder den Wunsch geäußert haben, dem Euroraum schnellstmöglich beizutreten, deutet darauf hin, dass der Euro in der gegenwärtigen Situation viele Vorteile bietet. Angesichts der Tatsache, dass viele Länder Fortschritte auf dem Weg zur Euro-Einführung gemacht haben, ist dieser Wunsch verständlich. Allerdings haben wir für den Beitritt Kriterien, die alle Beitrittsländer zunächst einmal erfüllen müssen.

Ich möchte hervorheben, dass es sich beim Eurogebiet nicht um eine „geschlossene Gesellschaft“ handelt. Seit Beginn der Währungsunion im Januar 1999 sind fünf neue Länder dem Euroraum beigetreten. Das jüngste Mitgliedsland ist die Slowakei, die sich der Währungsunion im Januar dieses Jahres anschloss. Alle Länder, die die vorab eindeutig festgelegten Kriterien für die Mitgliedschaft in der europäischen Währungsunion erfüllen, können sich dem Eurosystem anschließen.

5. Schlussfolgerung

Ein englisches Sprichwort sagt: “The proof of the pudding is in the eating”. Die letzten 10 Jahre haben bewiesen, dass der Euro einen bedeutenden Beitrag zu einem stärkeren und besser integrierten Europa geleistet hat. Die einheitliche Währung hat ein Umfeld geschaffen, in dem Preisstabilität herrscht. Der Euro hat sich aber auch in der derzeitigen Finanzmarktkrise bewährt. Durch den breiten Zugang zur Euro-Liquidität hat der Euro die Stabilisierung des Finanzsystems erleichtert.

Die Finanzkrise hat Finanzmarktteilnehmer, Regierungen und Zentralbanken vor große Herausforderungen gestellt. Um diese in Zukunft besser zu bewältigen, sind als Lehren aus der Krise drei Aspekte von besonderer Bedeutung:

  • Erstens, müssen wir Erwägungen im Hinblick auf die Finanzstabilität und das Systemrisiko größere Bedeutung beimessen. Dies ist auch bei der Gesamtbewertung der Risiken für die Preisstabilität auf mittlere Sicht und im Hinblick auf die Durchführung der Geldpolitik der EZB unerlässlich. Die Beteiligung der EZB an der Systemaufsicht innerhalb des geplanten Europäischen Rats für Systemrisiken ist ein begrüßenswerter Schritt in diese Richtung.

  • Zweitens, muss die Prozyklizität des Finanzsystems eingeschränkt werden. In diesem Zusammenhang wird es entscheidend sein, die angemessenen Regulierungsinstrumente zu finden, um wirksam Schwankungen im Konjunkturzyklus zu glätten.

  • Drittens, müssen Regulierung und Aufsicht besser gestaltet werden. Dies bedeutet, dass alle Institutionen, Märkte und Instrumente von systemischer Bedeutung einer angemessenen Regulierung und Aufsicht unterliegen sollen. So unterstützt die EZB beispielsweise in Bezug auf Märkte für OTC-Derivate Initiativen, mit denen rasch Infrastrukturen für diese systemisch relevanten Märkte aufgebaut werden sollen.

Die größte Herausforderung, die nun vor uns steht, ist den Finanzsektor so zu reformieren, dass die Realwirtschaft davon profitiert, wir schnell aus der Krise wieder herauskommen und wir dabei potenziellen Risiken zur Preisstabilität begegnen. Das Letztere haben wir in den letzten 10 Jahren erfolgreich getan und das soll auch in Zukunft so bleiben.

  1. [1] Advisory Committee on the Future of Banks in the Netherlands (2009): Restoring trust.

KONTAKT

Europäische Zentralbank

Generaldirektion Kommunikation

Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet.

Ansprechpartner für Medienvertreter
SEE ALSO

Find out more about related content