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Verleihung des Großkreuzes des Verdienstordens durch den Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland

Rede von Jean-Claude Trichet, Präsident der EZB
Berlin, 3. April 2008

Verehrter Herr Bundespräsident,
liebe Eva,
sehr geehrte Exzellenz,
liebe Freunde,

sicherlich ist mir anzusehen, dass ich äußerst bewegt bin. Bewegt, hier vor Ihnen zu stehen, verehrter Herr Bundespräsident, in Ihrem wunderbaren Schloss. Sehr bewegt, eine derart beeindruckende Auszeichnung der Bundesrepublik Deutschland zu erhalten und bewegt, mich im Kreise von Freunden wiederzufinden, mit denen wir, mit großem Enthusiasmus, gemeinsam darauf hingearbeitet haben, die französisch-deutsche und die deutsch-französische Freundschaft wie auch die Freundschaft zwischen allen Europäern zu vertiefen und zu stärken.

Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, Herr Bundespräsident, für dieses Großkreuz, von dem ich weiß, dass es nicht nur mir selbst, sondern auch dem Direktorium, dem EZB-Rat sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Europäischen Zentralbank gilt.

Wenn ich hier vor Ihnen stehe, Herr Bundespräsident, lieber Horst, kommen mir unweigerlich einige gemeinsame Erlebnisse in den Sinn, die nicht nur uns verbinden, sondern mittlerweile auch als entscheidende Momente in einer historisch so bedeutenden Zeit fest in meinem Gedächtnis verankert sind.

Erstens:

Der Fall der Mauer im Jahr 1989. Als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium waren Sie mit der Organisation der deutschen Wiedervereinigung betraut. Ich erinnere mich noch sehr gut an einen gemeinsamen langen Hubschrauberflug über Ostdeutschland bis nach Berlin im Jahr 1990, auf dem Sie mir die enormen wirtschaftlichen und finanziellen Herausforderungen der Wiedervereinigung darlegten.

zweitens:

Die Sowjetunion hatte erhebliche finanzielle Probleme, bevor sie im Jahr 1991 aufgelöst wurde. Wir fanden uns gemeinsam mit unseren Partnern, den anderen Staatssekretären der G-7-Staaten, in Moskau ein, um – in einer Atmosphäre des Fin d’Empire – mit dem Kreml, der seine Macht bereits eingebüßt hatte, über die Umschuldung der Schulden der Sowjetunion zu verhandeln.

und drittens:

Die Europäer beschlossen, zwischenstaatliche Verhandlungen zur Schaffung einer gemeinsamen Währung aufzunehmen. Sie waren der Chefunterhändler für Deutschland. Wir trafen uns sehr häufig, um gemeinsam den Vertragstext auszuarbeiten. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich besonders an ein langes Gespräch, das wir 1991 führten. Ich hatte damals das Gefühl, dass wir uns gegenseitig davon überzeugt hatten, dass jedes unserer Länder diesem Vorhaben wirklich zum Erfolg verhelfen wollte – allerdings unter zwei Bedingungen: erstens musste die institutionelle Ausgestaltung einwandfrei sein und zweitens musste die monetäre Konvergenz zwischen den Ländern, die eine gemeinsame Währung einführen wollten, zweifelsfrei belegt sein.

In Bezug auf unsere beiden Länder bedeutete dies die vollständige Konvergenz zwischen der D-Mark und dem französischen Franc, noch vor der gemeinsamen Währung. Wir waren uns einig, dass eine unerlässliche Bedingung für die Schaffung der gemeinsamen Währung darin bestand, dass die neue Währung mindestens so stabil und mindestens so glaubwürdig sein und außerdem ihren Wert mindestens so gut erhalten musste, wie dies bei den nationalen Vorgängerwährungen der Fall war.

Schließlich muss an dieser Stelle wohl das Krisentreffen erwähnt werden, zu dem wir uns im September 1992 in einem Hotel in Washington einfanden. Am Ende dieses Treffens hatten unsere beiden Zentralbanken einen Weg gefunden, den europäischen Wechselkursmechanismus zu retten, indem die Bindung zwischen unseren beiden Währungen aufrechterhalten wurde. Mehrere der heute hier Anwesenden haben damals an dieser gleichermaßen intensiven wie fruchtbaren Sitzung teilgenommen.

Sie, verehrter Herr Bundespräsident, können sicher sein, dass die Europäische Zentralbank, ihr Direktorium, der EZB-Rat sowie all ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch weiterhin – in ihrer vollen Unabhängigkeit – stolz auf die vorrangige Aufgabe sein werden, die der EU-Vertrag uns überträgt. Dies ist der Anspruch aller europäischen Demokratien, die den Vertrag ratifiziert haben, und auch die Erwartung unserer 320 Millionen Bürgerinnen und Bürger, die das Euro-Währungsgebiet mittlerweile umfasst: sie alle wollen Preisstabilität. Die Gewährleistung von Preisstabilität auf mittlere Sicht ist eine der notwendigen Voraussetzungen für ein solides Wachstum und die nachhaltige Schaffung von Arbeitsplätzen. Was diesen letzten Punkt betrifft, so ist es bemerkenswert, dass im Eurogebiet seit dem 1. Januar 1999, also innerhalb von neun Jahren, insgesamt 15,7 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen wurden, also mehr als dreimal so viel wie in den neun Jahren vor Einführung des Euro und deutlich mehr als in den Vereinigten Staaten innerhalb desselben Zeitraums.

Heute müssen wir uns, mehr denn je, zahlreichen Herausforderungen stellen. Zum einen stehen die Zentralbanken der Industrienationen vor der Aufgabe, Preisstabilität in einer Wirtschaft zu gewährleisten, die durch rasante Fortschritte in Wissenschaft und Technik, durch die Globalisierung sowie den bedeutenden demografischen Wandel geprägt ist, insbesondere im Zusammenhang mit der Alterung unserer Bevölkerungen. Zum anderen steht jedoch auch Europa vor enormen Herausforderungen: so gilt es, die unerlässlichen Strukturreformen zu vollenden, den Binnenmarkt insbesondere im Eurogebiet zu vertiefen und zu stärken und die Erweiterung des Euro-Währungsgebiets im Hinblick auf die Ernsthaftigkeit und die Glaubwürdigkeit unter optimalen Bedingungen fortzuführen.

Verehrter Herr Bundespräsident, ich danke Ihnen nochmals für diese besondere Ehre, die mir heute zuteil wird. Die Institution, der ich vorstehe, ist Ihnen hierfür äußerst dankbar. Diese Auszeichnung ist für uns alle Ansporn, die uns gestellte historische Aufgabe auch weiterhin mit Professionalität und Enthusiasmus zu erfüllen.

Herr Bundespräsident, liebe Eva, erlauben Sie mir außerdem eine persönliche Anmerkung, nämlich dass Aline und ich in dieser Auszeichnung ein hervorragendes Symbol der tiefen deutsch-französischen Freundschaft sehen, einer Freundschaft, die im Dienst der gesamten Europäischen Union steht.

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Europäische Zentralbank

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