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Die einheitliche europäische Geldpolitik

Vortrag des Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Dr. Willem F. Duisenberg an der Universität Hohenheim am 9. Februar 1999

Sehr geehrte Damen und Herren!

Seit etwas mehr als fünf Wochen ist die gemeinsame europäische Geldpolitik Realität. Nach Jahren intensiver Vorbereitung und erfolgreicher wirtschaftlicher Konvergenz wird nun die Geldpolitik in einem großen Teil Europas einheitlich festgelegt, und zwar vom Rat der Europäischen Zentralbank. Umgesetzt wird die Geldpolitik vom Eurosystem, so bezeichnen wir die EZB und die elf Notenbanken der an der Europäischen Währungsunion teilnehmenden Mitgliedstaaten.

Die gemeinsame Währung notiert an den internationalen Finanzmärkten und wird im unbaren Zahlungsverkehr eingesetzt. Der Euro wird jedoch in der nächsten Zukunft nicht in Form von neuen Banknoten und Münzen greifbar. Trotzdem besteht kein Zweifel, daß diese am 1. Januar 1999 aus der Taufe gehobene Währung - nicht nur innerhalb des Europäischen Währungsraumes, sondern auch darüber hinaus - eine wichtige Rolle spielen wird.

Diese Zuversicht ist durchaus angebracht, meine Damen und Herren. Die ersten Wochen sind für die gemeinsame Währung und die Geldpolitik des Eurosystems insgesamt gut gelaufen. Der Start verlief zwar nicht völlig reibungslos - das war angesichts der Bedeutung und Größe dieses Projekts nicht zu erwarten - aber ohne größere Komplikationen.

Die Europäische Währungsunion ist eine einzigartige und herausragende Errungenschaft. Sie eröffnet die große Chance, das Ziel der Preisstabilität in Europa umfassend und dauerhaft zu verwirklichen. Geldwertstabilität ist der beste Beitrag, den die Geldpolitik zu anhaltendem Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum in Europa leisten kann. Die nationalen Regierungen und die Tarifpartner sind aufgerufen, die strukturellen Ursachen der viel zu hohen Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Man kann nur hoffen, daß die Einführung des Euro die Umsetzung struktureller Reformen beschleunigt.

Die stabilitätsorientierte geldpolitische Strategie des Eurosystems

Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft weist dem Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) - und damit implizit dem Eurosystem - die Gewährleistung der Preisstabilität als vorrangiges Ziel zu. Der EZB-Rat wird alles daran setzen, diesen Auftrag zu erfüllen und seine Geldpolitik der Öffentlichkeit in verständlicher Weise zu erläutern. Aus diesem Grund haben wir eine stabilitätsorientierte geldpolitische Strategie entworfen, die im wesentlichen aus drei Hauptelementen besteht.

Der EZB-Rat hat eine quantitative Definition seines vorrangigen Ziels, der Preisstabilität, veröffentlicht. Dadurch wird eine klare Orientierungshilfe für die Erwartungen bezüglich der künftigen Preisentwicklung gegeben. Preisstabilität wird definiert als Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex für das Euro-Währungsgebiet von unter 2% gegenüber dem Vorjahr. Die Veröffentlichung dieser Definition gibt der öffentlichkeit und dem Europäischen Parlament einen klaren Maßstab für die Beurteilung des Erfolgs der einheitlichen Geldpolitik und macht damit das Eurosystem und seine Politik transparent und nachprüfbar.

Die Formulierung "unter 2%" gibt eindeutig die Obergrenze für die gemessene Inflationsrate an, die mit Preisstabilität vereinbar ist. Ich glaube nicht extra betonen zu müssen, daß Deflation - also ein anhaltender Rückgang des Preisniveaus - mit Preisstabilität nicht vereinbar wäre. Die neuesten Zahlen für die Jahresinflationsrate des Harmonisierten Verbraucherpreisindex für das gesamte Euro-Währungsgebiet entsprechen der Definition von Preisstabilität. Dieses Ergebnis ist freilich vor allem der Verdienst der erfolgreichen Geldpolitik der nationalen Notenbanken in den letzten Jahren vor Beginn der Währungsunion.

Die EZB ist erst gut einen Monat verantwortlich für die Geldpolitik. Den Erfolg ihrer heutigen Politik wird man erst in etwa ein bis zwei Jahren angemessen beurteilen können. Hierin spiegelt sich die Tatsache wider, daß die Transmission geldpolitischer Impulse relativ lange und variable Wirkungsverzögerungen beinhaltet. Der EZB-Rat hat folgerichtig hervorgehoben, daß Preisstabilität mittelfristig beibehalten werden muß. Diese Aussage betont nicht nur die Notwendigkeit einer zukunftsgerichteten Orientierung der Geldpolitik. Sie berücksichtigt auch die kurzfristige Volatilität der Preise aufgrund nicht-monetärer Schocks, die nicht durch die Geldpolitik kontrolliert werden können.

Zur Erreichung des Ziels der Preisstabilität stützt sich unsere Strategie insbesondere auf zwei "Säulen". Bevor ich hierauf näher eingehe, möchte ich betonen, daß sich durch die Einführung des Euro gewohnte und bisher verläßliche makroökonomische Beziehungen verändern könnten. Nicht zuletzt aus diesem Grund waren sowohl die Strategie der Geldmengensteuerung als auch die direkte Inflationssteuerung nicht anwendbar. Unsere Strategie ist auch keine einfache Kombination dieser beiden Ansätze. Sie ist vielmehr genau auf die Bedürfnisse der EZB zugeschnitten.

Die erste Säule der geldpolitischen Strategie beruht auf einer herausragenden Rolle für die Geldmenge. Da Inflation auf mittlere Frist letztendlich ein monetäres Phänomen ist, stellt die Geldmenge einen natürlichen "nominalen Anker" für eine auf die Sicherung der Preisstabilität ausgerichtete Geldpolitik dar. Um diese herausragende Rolle zu unterstreichen, hat der EZB-Rat einen quantitativen Referenzwert für das Geldmengenwachstum bekanntgegeben. Der erste vom EZB-Rat beschlossene Referenzwert für das M3-Wachstum beträgt 4½% per annum und wurde am 1. Dezember 1998 veröffentlicht. Dieser Wert basiert auf der eben genannten Definition von Preisstabilität und unterstellt ein Trend-Wachstum des realen Bruttoinlandsproduktes von 2 bis 2½% pro Jahr sowie eine mittelfristige Verringerung der Umlaufgeschwindigkeit von M3 von circa ½ bis 1% jährlich.

Wir werden auf Abweichungen des Geldmengenwachstums vom Referenzwert jedoch nicht mechanistisch reagieren, sondern dies zunächst sorgfältig im Hinblick auf Signale für zukünftige Preisentwicklungen analysieren. Größere oder langanhaltende Abweichungen sollten normalerweise Risiken für die Preisstabilität signalisieren.

Die zweite Säule der geldpolitischen Strategie fußt auf einer breit fundierten Beurteilung der Aussichten für die Preisentwicklung im gesamten Euro-Währungsgebiet. Diese Einschätzung wird sich auf eine breite Palette von geldpolitischen Indikatoren stützen. Dabei werden insbesondere solche Variablen eingehend analysiert, die Informationen über zukünftige Preisentwicklungen enthalten können. Diese Analysen sollen nicht nur Aufschluß über die Risiken für die Preisentwicklung geben, sondern auch die Ursache von unerwarteten änderungen wichtiger ökonomischer Größen identifizieren helfen.

Einige Kommentatoren haben diese umfassende Analyse auf eine Inflationsprognose verkürzt. Gleichzeitig wurde gefordert, die EZB müsse diese Prognose veröffentlichen, um den Ansprüchen der Transparenz und der Rechenschaftspflicht zu genügen. Lassen Sie mich deshalb klarstellen: unsere Strategie beinhaltet eine umfassende Analyse zahlreicher Indikatoren sowie mehrerer Prognosen. Die Fokussierung auf eine einzige offizielle Inflationsprognose des Eurosystems für einen bestimmten Zeitpunkt würde unseren internen Analyse- und Entscheidungsprozeß keinesfalls adäquat widerspiegeln. Sie würde damit die Transparenz und Klarheit der Erklärung unserer Politik beeinträchtigen. Die Veröffentlichung einer offiziellen Inflationsprognose ist auch ungeeignet, der Rechenschaftspflicht der EZB zu dienen. Dies gilt verstärkt dann, wenn diese Prognose auf der Annahme einer unveränderten Geldpolitik beruht. Der Erfolg der Geldpolitik der EZB sollte primär an der Einhaltung der Preisstabilität gemessen werden, nicht daran wie exakt ihre konditionalen Prognosen sind.

Die stabilitätsorientierte geldpolitische Strategie des Eurosystems, die ich eben kurz beschrieben habe, stellt eine neue und klare Strategie dar, die die Vorrangigkeit des Preisstabilitätsziels betont. Sie berücksichtigt die zwangsläufigen Unsicherheiten über wirtschaftliche Beziehungen, die mit dem übergang zur Währungsunion und dem damit verbundenen Regimewechsel zusammenhängen, und sie garantiert ein großes Maß an Transparenz.

Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir einige Anmerkungen zu Vorschlägen bezüglich der Ausrichtung der Geldpolitik, die jüngst in der Presse zu lesen waren. Einige dieser Ideen erwecken den Eindruck, als solle sich die Geldpolitik auf andere Ziele als die Preisstabilität konzentrieren, da stabile Preise bereits erreicht seien. So wurde unter anderem vorgeschlagen, daß die EZB mehr oder weniger mechanistisch auf Wechselkursentwicklungen oder andere Variablen, wie zum Beispiel die Lohnstückkosten, reagieren sollte. Zudem wurde gefordert, die Geldpolitik solle sich mit Zinssenkungen in den Dienst der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit stellen. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, klar die Möglichkeiten und die Grenzen der Geldpolitik aufzuzeigen.

Sowohl die Logik des Vertrages von Maastricht als auch zahlreiche ökonomische Analysen zeigen, daß der beste Beitrag, den die einheitliche Geldpolitik für die Beschäftigungsentwicklung leisten kann, darin besteht, sich auf die Preisstabilität zu konzentrieren. Ohne eine solche klare Ausrichtung bestünde die Gefahr, daß die öffentlichkeit die Verpflichtung des Eurosystems auf das Ziel der Gewährleistung der Preisstabilität in Zweifel zöge. Inflationserwartungen, Risikoprämien und damit die langfristigen Zinsen würden steigen. Dies würde die Kosten für Investitionen, die für eine nachhaltige und dauerhafte Verbesserung des Lebensstandards notwendig sind, verteuern.

Aber auch im günstigsten Fall - das heißt wenn es gelingt Preisstabilität dauerhaft zu sichern - kann die Geldpolitik die großen wirtschaftlichen Probleme der Arbeitslosigkeit und die Zukunftsprobleme der Sozialversicherungen keinesfalls alleine lösen.

Der EZB-Rat sieht die hohe Arbeitslosigkeit im Euro-Währungsgebiet mit sehr großer Besorgnis. Dieses Problem ist jedoch ganz überwiegend strukturell bedingt. Seine Ursache liegt vor allem in den zum Teil durch übermäßige und unangemessene Regelungsdichte entstandenen Rigiditäten auf den Arbeits- und Gütermärkten des Euro-Währungsgebiets. Wirtschaftliche Strukturreformen, die auf den Abbau von Inflexibilitäten zielen, sind die angemessene Antwort darauf. In den Ländern des Euro-Währungsgebiets, in denen solche Reformen umgesetzt worden sind, ist die Arbeitslosenquote beträchtlich zurückgegangen. Zudem möchte ich betonen, daß eine moderate Entwicklung der Lohnkosten und eine Reduzierung der Steuer- und Abgabenlast den Abbau der Arbeitslosigkeit generell unterstützen würden. Dies wäre auch dann der Fall, wenn das betreffende Land keinen intensiven Handel mit den Nachbarländern betreiben würde. Der positive Einfluß von niedrigen Steuern und Lohnkosten auf die Beschäftigung ist international gesehen deutlich mehr als ein Nullsummenspiel. Eine so ausgerichtete Politik sollte nicht als "Lohndumping" gebrandmarkt werden.

Was nun die Rolle der Wechselkurse zwischen dem Euro und anderen wichtigen Währungen außerhalb der EU, insbesondere dem US Dollar, betrifft, hat das Eurosystem mit der Ausgestaltung seiner geldpolitischen Strategie eine unzweideutige Wahl getroffen. Diese Strategie schließt explizite oder implizite Ziele oder Zielzonen für den Euro-Wechselkurs eindeutig aus. Die Verfolgung eines Wechselkursziels könnte leicht die Einhaltung des Preisstabilitätsziels gefährden und damit auch die reale Wirtschaftsentwicklung beeinträchtigen. Zielzonen für Wechselkurse könnten zum Beispiel dazu führen, daß die EZB in einer Rezession trotz zunehmendem Druck in Richtung sinkender Preise die Zinsen anheben müßte. Sie stimmen sicher mit mir überein, daß eine solche mechanistische Reaktion auf eine Wechselkursänderung des Euro nicht optimal wäre. Auch sollten wir nicht vergessen, daß wir in einer Welt mit hoher Kapitalmobilität leben. Wechselkursvereinbarungen, die vielleicht noch vor einiger Zeit umgesetzt werden konnten, sind wohl nicht länger realisierbar.

Aufgrund des Fehlens eines Wechselkursziels sollte man nicht darauf schließen, daß die EZB den Außenwert des Euro mit völligem Gleichmut betrachtet oder ignoriert. Im Gegenteil, der Wechselkurs wird als ein potentiell wichtiger geldpolitischer Indikator im Rahmen der breit fundierten Beurteilung der Aussichten für die Preisentwicklung beobachtet und analysiert. Eine stabilitätsorientierte Geld- und Fiskalpolitik, wie sie der Vertrag von Maastricht und der Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgeben, stellt eine wesentliche Voraussetzung für einen stabilen Euro-Wechselkurs dar. Eine Garantie für dauerhafte Wechselkursstabilität gibt es natürlich nicht, übrigens auch nicht im Falle von fixierten Wechselkursen. Wechselkursausschläge sind häufig von der Struktur- oder Fiskalpolitik, von asymmetrischen realen Schocks oder konjunkturellen Unterschieden verursacht. Die Geldpolitik wäre eindeutig überfordert, wenn sie solche Wechselkursänderungen verhindern sollte.

Wir können und werden unsere Geldpolitik nicht an einer einzigen Variablen ausrichten, sei es ein Geldmengenaggregat, ein Index, der Wechselkurs oder eine Inflationsprognose für einen bestimmten Zeitpunkt. Wir können uns auch nicht auf eine ex ante Koordinierung einlassen, bei der wir uns verpflichten, auf gewisse Zusagen oder Pläne zu reagieren. Die EZB wird immer alle relevanten Indikatoren sorgfältig analysieren. Dabei ist es besonders wichtig, daß die wirtschaftlichen Ursachen für mögliche Risiken der Preisstabilität im Euro-Gebiet bestmöglich verstanden werden. Die geeigneten geldpolitischen Entscheidungen hängen auch von den Ursachen der unerwarteten änderungen wichtiger ökonomischer Größen ab. Der EZB-Rat muß sich zum Beispiel ein Urteil darüber bilden, ob Veränderungen wichtiger Indikatoren vorübergehender oder permanenter Natur sind, und ob es sich um einen Nachfrage- oder Angebotsschock handelt. Auch die erwarteten Reaktionen der Finanzmärkte, der Verbraucher und der Unternehmen auf geldpolitische Entscheidungen versuchen wir in unsere Überlegungen einzubeziehen. Ich glaube es ist unstrittig, daß eine derart komplexe Analyse nicht einfach auf eine mehr oder weniger mechanistische Reaktion auf einige wenige Variablen oder eine einzige offizielle Prognose reduziert werden kann.

Vielfach wurde auch die Befürchtung geäußert, daß das Eurosystem nicht transparent genug agiere. In diesem Zusammenhang wurde angemerkt, daß eine transparente Geldpolitik auch die Veröffentlichung der Protokolle der EZB-Ratssitzungen und die Offenlegung des Abstimmungsverhaltens der einzelnen Ratsmitglieder bedinge.

Aus guten Gründen hat der EZB-Rat entschieden, diesen Weg nicht zu beschreiten. Eine Veröffentlichung individueller Stellungnahmen könnte leicht zu einer nationalen Vereinnahmung der einzelnen Ratsmitglieder führen. Die Mitglieder des EZB-Rates dürfen jedoch nicht als nationale Vertreter verstanden werden. Sie entscheiden gemeinsam die Geldpolitik für das gesamte Euro-Währungsgebiet. Der EZB-Rat hat sich verpflichtet, noch über die im Vertrag festgelegten Berichts- und Erläuterungspflichten hinauszugehen, die gemessen an internationalen Standards zu den umfassendsten gehören.

Auf Grundlage unserer Strategie gebe ich nach jeder ersten Sitzung im Monat eine ausführliche Erläuterung unserer Einschätzung der gesamten wirtschaftlichen Lage und insbesondere der Aussichten für die Preisstabilität vor der Presse ab. Der Inhalt dieser sogenannten "Einleitenden Bemerkungen" kommt sehr nahe an das heran, was andere Notenbanken Protokolle nennen. Auf diese Art und Weise wird die öffentlichkeit unmittelbar nach den Sitzungen des EZB-Rates umfassend informiert. Zudem werden wir jeden Monat in unserem Bulletin einen ausführlichen Bericht über die wirtschaftliche Lage und die Geldpolitik im gesamten Euro-Währungsgebiet veröffentlichen. Eine solch schnelle Information über die Ergebnisse der Sitzungen des EZB-Rates und die aktuelle wirtschaftliche Analyse der EZB ist zweifellos Ausdruck einer sehr weitgehenden Offenheit und Transparenz.

Jüngste geldpolitische Entscheidungen und Operationen

Die Zusammenarbeit der Europäischen Zentralbanken war immer sehr eng. In den letzten Monaten des Jahres 1998 ist diese Kooperation zwischen den Teilnehmern an der dritten Stufe der Währungsunion zunehmend vertieft worden. Die koordinierte Senkung der Leitzinsen Anfang Dezember 1998 hat klar gezeigt, daß die Währungsunion de facto schon vor dem Beginn der Stufe 3 begonnen hatte. Diese koordinierte Maßnahme hat - wie wir jetzt wissen - wesentlich zur Stabilisierung der Markterwartungen beigetragen.

Seit etwas mehr als fünf Wochen werden von der EZB geldpolitische Operationen durchgeführt und zwar hauptsächlich in Form von befristeten Offenmarkttransaktionen. Das Hauptgeschäft wird in wöchentlichem Abstand mit einer Laufzeit von jeweils zwei Wochen abgeschlossen. Bisher wurden diese Operationen fünfmal zum festen Zinssatz von 3% erfolgreich abgewickelt.

Neben den befristeten Transaktionen, die das Hauptinstrument zur Liquiditätskontrolle und Zinssteuerung darstellen, bietet das Eurosystem zwei "ständige" Fazilitäten an: die Spitzenrefinanzierungsfazilität und die Einlagenfazilität. Diese können von den Kreditinstituten über die nationalen Zentralbanken in Anspruch genommen werden. Die Spitzenrefinzierungsfazilität ist in erster Linie ein Sicherheitsventil bei kurzfristigen Liquiditätsengpässen im Bankensystem und begrenzt damit die Ausschläge der Geldmarktsätze nach oben. Gewissermaßen das Gegenstück ist die kurzfristige Einlagenfazilität, die kurzfristige Liquiditätsüberschüsse abfangen soll. Sie bildet die Untergrenze für die Geldmarktsätze. Für den Beginn der Währungsunion wurde der Einlagenzinssatz auf 2% und der Spitzenrefinanzierungssatz auf 4,5% festgelegt.

Als eine vorübergehende Maßnahme hatte der EZB-Rat beschlossen, den Korridor zwischen dem Spitzenrefinanzierungs- und dem Einlagensatz vom 4. Januar bis zum 21. Januar 1999 auf 2,75% bis 3,25% einzuengen. Dies diente dem Zweck, die notwendigen Anpassungen an das neue institutionelle Umfeld, verbunden mit dem übergang zur Stufe 3, zu erleichtern. Wie zuvor angekündigt, wurde am 21. Januar 1999 beschlossen, wieder zu jenen Zinssätzen für die beiden "ständigen" Fazilitäten zurückzukehren, die für den Start der einheitlichen Geldpolitik festgelegt worden waren. Seit dem 22. Januar 1999 beträgt daher der Einlagenzinssatz 2% und der Spitzenrefinanzierungssatz 4,5%.

Ausschlaggebend für diese Entscheidung waren die Erfahrungen mit dem das gesamte Euro-Währungsgebiet umfassenden Geldmarkt seit Jahresbeginn. Der EZB-Rat stellte fest, daß sich die Schwierigkeiten einiger Marktteilnehmer mit der Einführung des integrierten Geldmarktes, und insbesondere mit den grenzüberschreitenden Liquiditätsströmen, in der Zwischenzeit merklich verringert hatten. Insgesamt gesehen hat die Integration des Geldmarktes im Euro-Währungsgebiet bereits drei Wochen nach ihrer Umsetzung ein zufriedenstellendes Stadium erreicht. Bei der Analyse des Geldmarktes ist unter anderem zu beachten, daß sich EZB-Zinssätze und kurzfristigen Marktzinssätze durchaus unterscheiden können. Zum einen können in den Marktsätzen Kreditrisikoprämien enthalten sein, zum anderen können Erwartungen zu Unterschieden zwischen beiden Sätzen führen.

In seiner Sitzung am letzten Donnerstag hat der EZB-Rat seine frühere Beurteilung der Aussichten für die Preisentwicklung bestätigt. Daher wurde beschlossen, die Bedingungen für die nächsten Hauptrefinanzierungsoperationen am 10. und am 17. Februar 1999 unverändert zu belassen. Sie werden als Mengentender zu einem festen Zinssatz von 3% durchgeführt, wie schon die entsprechenden geldpolitischen Operationen davor.

Daneben wurden in den letzten Wochen auch die ersten längerfristigen Offenmarktoperationen in Form von befristeten Transaktionen abgewickelt. Diese wurden am 14. Januar 1999 in drei parallel laufenden Tenderverfahren mit ein-, zwei- und dreimonatiger Laufzeit durchgeführt. Dabei wurde das Zinstenderverfahren angewandt. Im Gegensatz zu den regulären Hauptrefinanzierungsoperationen verfolgt das Eurosystem mit diesen längerfristigen Geschäften nicht die Absicht, dem Markt Signale zu geben, und tritt deshalb im Regelfall als Preisnehmer auf. Die EZB gibt daher schon im voraus Hinweise auf die geplanten Zuteilungsvolumina. Zinssätze, die bei diesen geldpolitischen Geschäften zustande kommen, sind deshalb als Indikatoren der vorherrschenden Marktsituation zu sehen.

Regelmäßige Beurteilung der monetären, finanziellen und wirtschaftlichen Situation

Zum Abschluß meiner Ausführungen möchte ich noch kurz über die aktuelle Beurteilung des EZB-Rates bezüglich der monetären, finanziellen und wirtschaftlichen Situation berichten. Auf Basis dieser Einschätzungen hat der EZB-Rat am letzten Donnerstag entschieden, die Zinssätze unverändert zu lassen.

Unter Berücksichtigung der jüngsten monetären Daten für Dezember 1998 blieb der gleitende Dreimonatsdurchschnitt der 12-Monatsraten der Geldmenge M3 (für Oktober bis Dezember 1998) mit 4,7% weitgehend stabil. Dies ist ein Wert, der sehr nahe bei dem vom EZB-Rat festgesetzten Referenzwert liegt. Nach unserer Analyse zeigt die Geldmengenentwicklung keine Risiken für die Preisstabilität. Die Kredite an den privaten Sektor sind auch im Dezember des vergangenen Jahres sehr stark gewachsen. Wir sehen darin im Moment zwar keine inflationären Signale, werden die weiteren Entwicklungen jedoch sorgfältig beobachten.

Im Hinblick auf die breit fundierte Beurteilung der Aussichten für die Preisentwicklung und der Risiken für die Preisstabilität im Euro-Währungsgebiet, können die finanziellen Entwicklungen als Indikator einer günstigen Beurteilung der jüngsten geldpolitischen Entscheidungen des Eurosystems gesehen werden. Sie signalisieren, daß die Finanzmarktteilnehmer eine Fortsetzung des preisstabilen Umfeldes erwarten. Die langfristigen Zinsen sind am Jahresbeginn 1999 auf neue historische Tiefs gesunken, und die Zinsstrukturkurve hat sich insgesamt nach unten verschoben. Die Finanzierungsbedingungen für Investitionen sind dadurch derzeit ausgesprochen günstig.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind die Wachstumsaussichten für das Euro-Währungsgebiet allerdings nach wie vor auch von den Unsicherheiten bezüglich der weltwirtschaftlichen Entwicklung im Jahre 1999 geprägt. Diese Unsicherheiten haben sich auf die Indikatoren des Geschäftsklimas im Euro-Währungsgebiet negativ ausgewirkt. Vielfach wird nun eine Konjunkturverlangsamung in der näheren Zukunft erwartet. Diese Eintrübung des außenwirtschaftlichen Umfeldes ist vor allem auf die Finanzmarktkrisen in Asien, Rußland und Lateinamerika zurückzuführen. Allerdings ist das Bild nicht eindeutig. Während die Wachstumsrate der Industrieproduktion bis November 1998 zurückging, zeigten Einzelhandelsumsätze und Konsumentenvertrauen bis zuletzt freundlichere Tendenzen. Zudem blieb das Wachstum des realen Bruttoinlandsproduktes im Euro-Gebiet im dritten Quartal 1998 relativ robust. In den USA ist das reale Wachstum im vierten Quartal sogar höher als erwartet ausgefallen. Gemessen am Harmonisierten Verbraucherpreisindex sind die Verbraucherpreise im Dezember 1998 im Euro-Währungsgebiet um 0,8% gestiegen. Das ist ein zehntel Prozentpunkt weniger als im November. Diese Entwicklung steht im Einklang mit früheren Tendenzen. Sie läßt sich insbesondere auf einen weiteren Rückgang der Energiepreise und eine Abschwächung des Preisanstiegs bei Industrieerzeugnissen zurückführen.

Alles in allem deuten die eben beschriebene wirtschaftliche Entwicklung und die verfügbaren Prognosen für 1999 nicht auf einen merklichen Abwärts- oder Aufwärtsdruck auf die weitere Preisentwicklung hin. Potentielle Abwärtsrisiken könnten sich durch eine Veränderung der weltwirtschaftlichen Situation und den damit verbundenen Auswirkungen auf das Euro-Währungsgebiet ergeben. Diese Entwicklungen müssen sorgfältig beobachtet werden. Ein gewisser inflationärer Druck ist bei einem starken Anstieg der Lohnkosten und einer Lockerung der Fiskalpolitik zu befürchten. Auch die Wechselkursentwicklung werden wir wegen ihrer Bedeutung für die Preisentwicklung genau beobachten.

Lassen Sie mich abschließend betonen, daß das derzeitige Niveau der Realzinsen ausgesprochen niedrig ist. Wenn man die Realzinsen vereinfacht als Differenz der nominalen Zinsen und des laufenden Anstiegs der Verbraucherpreise (HVPI) mißt, dann lagen die kurzfristigen Realzinsen im Januar 1999 bei 2,3%, also etwa 80 Basispunkte niedriger als vor einen Jahr. Die langfristigen Realzinsen sind mit 110 Basispunkten noch stärker gefallen und lagen im Januar bei 3%. Diese Niveaus sind sehr niedrig, sowohl im aktuellen internationalen als auch im historischen Vergleich. Im Einklang mit der Gewährleistung der Preisstabilität unterstützen die gegenwärtigen monetären und finanziellen Bedingungen damit eindeutig das künftige Wirtschaftswachstum. Mehr kann die Geldpolitik nicht tun, will sie nicht die großen gesamtwirtschaftlichen Vorteile der Preisstabilität und ihrer Glaubwürdigkeit gefährden.

Echte strukturelle Reformen, die die Flexibilität der Arbeitsmärkte erhöhen, sowie ein weiterhin moderater Anstieg der Lohnkosten würden nicht nur die Geldpolitik erleichtern, sondern auch die Beschäftigungsentwicklung unterstützen. Dies gilt verstärkt dann, wenn sich die Konjunktur in diesem Jahr aufgrund der außenwirtschaftlichen Eintrübungen stärker als erwartet abschwächen sollte.

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