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Interview mit Der Spiegel

Interview mit Isabel Schnabel, Mitglied des Direktoriums der EZB, geführt von Tim Bartz und Stefan Kaiser am 1. April und veröffentlicht am 9. April 2021, im Print-Format am 10. April 2021

9 April 2021

Frau Schnabel, die Weltwirtschaft erholt sich nur mühsam von einer der schwersten Wirtschaftskrisen der vergangenen Jahrzehnte, an den Börsen aber herrscht Rekordlaune. Bereitet Ihnen das Sorge?

Wir beobachten das sehr genau. In Europa ist die Entwicklung bislang nicht dramatisch, aber auch hier gibt es Anzeichen für Übertreibungen, etwa im Immobilienmarkt. In den USA ist das konjunkturbereinigte Verhältnis von Aktienkursen zu Unternehmensgewinnen inzwischen auf einem höheren Niveau als vor der Finanzkrise 2008.

Sind Aktien- und Immobilienpreise schon wieder so hoch, dass es irgendwann knallen muss?

Im Euro-Raum sind die hohen Aktienbewertungen noch durch höhere Gewinnerwartungen begründbar. Aber die Risiken einer Korrektur steigen, vor allem wenn die wirtschaftliche Erholung den Erwartungen nicht gerecht werden sollte.

Gerade hat der Kollaps des US-Hedgefonds Archegos großen Banken wie Credit Suisse und Nomura Milliardenverluste beschert. Wie kann ein einzelner Fonds solche Finanzriesen erschüttern?

Das ist in der Tat ein bemerkenswerter Vorgang. Er zeigt, dass es bei Fonds erhebliche Regulierungslücken gibt. Archegos ist ein Family Office, das das Kapital einer einzigen Person verwaltet. Es gab kein Eigenkapital anderer Anleger, weshalb die Anforderungen und Berichtspflichten geringer waren. So konnte sich der Fonds erheblich verschulden, ohne dass dies bemerkt wurde.

Noch erstaunlicher ist doch, dass hoch regulierte Banken so stark ins Risiko gehen konnten. Die Credit Suisse hat einen kompletten Jahresgewinn verbrannt, die Deutsche Bank konnte erst in letzter Minute milliardenschwere Aktienpakete verkaufen, die Archegos als Kreditsicherheit hinterlegt hatte – obwohl sie solche Geschäfte mit Hedgefonds eigentlich nicht mehr machen will.

Man wird sich genau anschauen müssen, warum die Banken dem Fonds eine so große Verschuldung ermöglicht haben. Das hätte noch weitere Ansteckungseffekte zur Folge haben können.

Die Institute dachten, ihre Kredite seien abgesichert durch die Aktienpakete, die Archegos hielt. Weil der Fonds aber gezwungen war, diese Pakete schnell zu verkaufen und die Kurse immer weiter abstürzten, waren die Sicherheiten nicht mehr viel wert.

Solche Notverkäufe sind gefährlich, das kennt man aus der globalen Finanzkrise. Man kann froh sein, dass der Effekt auf wenige Akteure begrenzt blieb. Ansonsten hätte das sogar zu einer Systemkrise werden können.

Das hört sich an, als hätte die Finanzwelt mehr Glück als Verstand gehabt, dass die Sache glimpflich ausging. Fehlt es an Regulierung?

Es ist der Regulierung zu verdanken, dass die Banken genügend Eigenkapital haben, um derartige Verluste abzufedern. Bei den Fonds muss allerdings nachgebessert werden, denn deren Regulierung ist vor allem auf den Anlegerschutz ausgerichtet. Zum Glück war es bisher nur ein einzelner Fonds. Dennoch ist das ein Warnsignal, dass es hier erhebliche systemische Risiken gibt, die besser reguliert werden müssen.

Zu den seltsamen Blüten der Finanzmärkte gehört der Bitcoin-Hype. Der Kurs der Kryptowährung hat sich vervielfacht, Firmen wie Tesla wollen Bitcoins als Zahlungsmittel akzeptieren, Paypal-Kunden sollen mit Bitcoin zahlen können. Beunruhigt Sie es, wenn neben Euro, Dollar und Co eine neue, bisher unregulierte Währung entsteht?

Aus unserer Sicht ist es falsch, Bitcoin als Währung zu bezeichnen, weil es die Grundeigenschaften des Geldes nicht erfüllt. Es ist ein Spekulationsobjekt ohne erkennbaren fundamentalen Wert und unterliegt massiven Preisschwankungen.

Elon Musk würde Ihnen wiedersprechen.

Das sei ihm unbenommen.

Auch Währungen wie der Euro haben keinen fundamentalen Wert, sondern basieren letztlich auf Vertrauen.

Hinter dem Euro steht die EZB, die großes Vertrauen genießt. Und er ist gesetzliches Zahlungsmittel. Niemand kann sagen: Euro akzeptiere ich nicht. Das ist bei Bitcoin anders.

Fakt ist, dass viele Leute dem Bitcoin offenbar vertrauen. Können etablierte Währungen wie der Euro darunter leiden?

Ich sorge mich eher darum, dass das Vertrauen in Kryptowährungen schnell wieder verloren geht und damit Verwerfungen an den Finanzmärkten entstehen. Das ist ein sehr fragiles System.

Die EZB plant selbst die Einführung eines digitalen Euro. Warum?

Zahlungssysteme sind heute viel digitaler als früher. Daher müssen wir prüfen, was das für unser Geldsystem bedeuten. Es ist aber noch nichts entschieden. Es sind viele Vorarbeiten erforderlich, damit das Projekt richtig aufgesetzt werden kann.

Das hieße, dass der digitale Euro erst in vier oder fünf Jahren kommt - ist das nicht zu spät?

Das glaube ich nicht. Niemand kann ähnlich viel Sicherheit und Datenschutz bieten wie die EZB. Das ist für die Menschen ein wichtiges Thema: Wem wollen wir als Verbraucher unsere Daten preisgeben? Da vertrauen die Menschen wohl eher der EZB als Facebook und anderen privaten Anbietern.

Seit Jahren hält die EZB die Leitzinsen bei null und kauft Staats- und Unternehmensanleihen für Billionen Euro – immer mit dem Ziel, die Inflation anzukurbeln. Jetzt steigen die Preise endlich. Wann endet die Null-Zins-Politik?

Ja, die Inflation steigt. Und da wir unser Inflationsziel von unter, aber nahe zwei Prozent lange nicht erreicht haben, wäre ein nachhaltiger Anstieg in Richtung der zwei Prozent eine gute Nachricht. Das hieße, dass die Wirtschaft in Schwung kommt und die Nachfrage steigt. Leider entspricht das nicht ganz der Realität.

Warum nicht?

Weil die Preise momentan aufgrund vieler Einmaleffekte anziehen. Der Ölpreis ist 2020 eingebrochen und legt nun – ausgehend von einem niedrigen Niveau – wieder zu, und in Deutschland ist der Mehrwertsteuersatz im Januar angehoben worden. Das schlägt durch, aber nur kurz. Unser mittelfristiger Ausblick zeigt, dass die Inflation 2022 schon wieder sinkt, weil die gesamtwirtschaftliche Nachfrage vermutlich weiter schwach bleibt.

Viele Menschen haben das Gefühl, alles wird teurer. Die Alltagsinflation wird als deutlich höher empfunden als die offiziell gemessene.

Das ist ein wohlbekanntes Phänomen. Dass Menschen die Inflation als zu hoch empfinden, haben wir zum Beispiel bei der Euro-Einführung erlebt. Wir müssen den Menschen den Begriff der Inflation besser erklären. Es wäre gut, mehr in finanzielle Bildung zu investieren. Das würde auch die Arbeit der EZB erleichtern. Die Inflationsmessung betrachtet im Übrigen ja immer nur einen Durchschnitt und passt fast nie zum individuellen Konsumverhalten.

Die Leute merken schon, wenn ein Bier plötzlich 5 statt 4 Euro kostet. 

Klar, aber die gefühlte Inflation wird stark durch Güter beeinflusst, die wir häufig konsumieren. Viele vergessen dabei, dass zum Beispiel elektronische Produkte günstiger oder zumindest qualitativ hochwertiger geworden sind. Bei gleichen Preisen ist das Produkt dann eigentlich billiger.

Vielleicht sollten Sie den Warenkorb anpassen, mit dem Sie Inflation messen.

Der Warenkorb ist lebensnah und schließt die Güter ein, die die Menschen wirklich konsumieren. Nicht die EZB entscheidet, wie er sich zusammensetzt, sondern die europäische Statistikbehörde Eurostat. Der Preisindex wird ständig verbessert, und wir geben unsere Einschätzungen dazu ab.

In welcher Form?

Wir diskutieren zum Beispiel, wie wir Hauspreise künftig erfassen. Mieten sind im Index enthalten, die Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum bislang nicht.

Zurück zur Weltwirtschaft. Die USA impfen im Eiltempo und stecken Billionen in Konjunkturprogramme. Europa fällt dagegen immer weiter ab.

Gerade deshalb ist es – neben dem Impffortschritt – so wichtig, dass Europa eine starke fiskalische Antwort gibt, nämlich mit dem Corona-Aufbaufonds über 750 Milliarden Euro. Damit demonstriert Europa zum einen Solidarität mit den Ländern, die hart von der Krise getroffen wurden, aber nur geringe fiskalische Spielräume haben. Zum anderen ist es für die europäische Wirtschaft als Ganzes wichtig und damit gerade für die Exportnation Deutschland.

Noch ist kein Geld geflossen.

Das soll schon bald geschehen. Dabei soll nur ein kleinerer Teil des Geldes kurzfristig den Konsum ankurbeln, der Großteil soll investiert werden, so dass Europa dauerhaft wettbewerbsfähiger, digitaler und grüner wird.

Die Schulden der EU-Länder explodieren derweil.

Ein Anstieg der öffentlichen Schulden ist angesichts dieser Jahrhundertkrise unvermeidlich und sinnvoll, solange die Ausgaben das Wachstum nachhaltig ankurbeln.

Zeigt der Fonds nicht Europas Schwäche: Man entscheidet schnell über viel Geld, aber dann passiert erst einmal nichts?

Nein, ich bin da nicht so skeptisch. Man muss die Gelder sinnvoll verwenden, das kostet Zeit.

Die Amerikaner zahlen einfach Schecks an alle Bürger aus. War ein solches Helikoptergeld jemals ein Thema für die EZB?

Das Geld in den USA kommt von der Regierung, nicht der Zentralbank. Auch in Europa gibt es durchaus Programme, die den Bürgern schnell und konkret helfen, wie etwa das Kurzarbeitergeld, das auch durch europäische Gelder unterstützt wird. Das wurde sehr schnell umgesetzt und ausbezahlt.

Trotzdem fällt Europa zurück.

Europa hatte schon vor der Pandemie mit strukturellen Problemen zu kämpfen, die dringend angegangen werden müssen. Entscheidend ist kurzfristig, dass wir das Impfen beschleunigen, das wird für einen kräftigen Aufschwung sorgen.

AfD-Gründer Bernd Lucke hat eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht und damit das deutsche Ratifizierungsgesetz zum Wiederaufbaufonds vorläufig gestoppt.

Es steht mir nicht zu, mich über das Bundesverfassungsgericht zu äußern. Grundsätzlich gilt: wenn sich die Auszahlung der Gelder aus dem Fonds auf unbestimmte Zeit verzögern würde, wäre das eine wirtschaftliche Katastrophe für Europa. Dann müsste Europa sich Gedanken über alternative Lösungen machen, aber das könnte dauern.

Ob in der Türkei, in Brasilien oder bis vor kurzem in den USA unter Trump: In immer mehr Ländern greifen die Staatschefs die Unabhängigkeit ihrer Zentralbanken an. Fürchten Sie solche Tendenzen auch in Europa?

Nein, die EZB ist eine der unabhängigsten Zentralbanken der Welt und ist nur ihrem Mandat der Preisstabilität verpflichtet. Uns schützt auch, dass wir für 19 Länder Zentralbankfunktion haben und nicht für ein einzelnes.

Nur was, wenn Sie faktisch die Zinsen gar nicht erhöhen können, weil die Euroländer sonst unter der Schuldenlast zusammenbrechen würden?

Der beste Schutz dagegen ist eine gute Fiskalpolitik. Damit meine ich: in der Pandemie nicht zu sparen, sondern durchaus Schulden zu machen und mit den Geldern in Wachstum zu investieren.

Klingt gut, aber das haben Sie nicht in der Hand. Das entscheiden die Regierungen.

Stimmt, aber wir sind unserem Mandat der Preisstabilität verpflichtet und dürfen die Staaten nun einmal nicht finanzieren. Und wir können keiner Regierung garantieren, dass die Zinsen ewig niedrig bleiben. Aber es dauert noch eine Zeit, bis die Zinsen wieder deutlich steigen, sofern unsere Inflationsprognosen zutreffen. Und selbst dann wird ja nicht sofort die gesamte Staatsverschuldung teurer, sondern nur der Teil, der refinanziert werden muss. Die höheren Zinsen würden sich also nur langsam niederschlagen. Zudem haben sich viele Länder längerfristig zu niedrigen Zinsen finanziert. Entscheidend ist, dass die europäische Wirtschaft wieder anspringt, dann sind auch die Schulden verkraftbar.

Die EZB hat sich seit Kurzem dem Klimaschutz verschrieben und will Banken zwingen, ihre klima- und umweltbezogenen Risiken transparenter offenzulegen. Überziehen Sie damit nicht Ihr Mandat?

Wir betreiben keine Klimapolitik, das machen die Regierungen. Zugleich ist der Klimawandel die wohl größte Herausforderung der Menschheit. Da müssen sich alle Entscheidungsträger, auch die EZB, fragen, was sie innerhalb ihres Mandats beitragen können.

Und, wie lautet Ihre Antwort?

Die EZB ist aus zwei Gründen verpflichtet, über ihren Beitrag zum Klimaschutz nachzudenken: Der Klimawandel beeinflusst die Wirtschaft massiv, etwa durch Naturkatastrophen, und damit auch die Preisstabilität. Ignorieren wir das, würden wir unser Mandat nicht erfüllen. Zudem soll die EZB laut Mandat die Wirtschaftspolitik der EU unterstützen. Bei dieser spielt der Klimaschutz eine herausragende Rolle.

Mit dem Argument könnten Sie alle möglichen politischen Ziele unterstützen.

Genauso formuliert es der EU-Vertrag. Aber das gilt nur, wenn dadurch unser primäres Ziel der Preisstabilität nicht beeinträchtigt wird.

Frau Schnabel, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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