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Interview mit Deutschlandfunk

Interview mit Sabine Lautenschläger, Mitglied des Direktoriums der EZB und stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsgremiums der EZB,
geführt von Klemens Kindermann und publiziert am 19. Februar 2017

Frau Lautenschläger, in diesem Sommer vor zehn Jahren – im Jahr 2007 – begann in den USA die Bankenkrise, die sich dann zur Weltfinanzkrise auswuchs. Sie sind nicht nur Mitglied im sechsköpfigen Direktorium der Europäischen Zentralbank, sondern auch Vizechefin der Europäischen Bankenaufsicht – wie sicher sind die europäischen Banken heute?

Also, es hat sich sehr viel geändert in den letzten zehn Jahren. Die europäischen Institute haben sehr viel mehr Kapital, in viel besserer Qualität. Sie weisen auch viel mehr Liquidität vor – also, es gibt sehr viel mehr Widerstandsfähigkeit im europäischen Bankenmarkt. Das bedeutet aber nicht, dass nicht die eine oder andere Bank ihre Hausaufgaben noch zu machen hat.

Wir führen das Gespräch hier nicht im neuen Doppel-Tower der EZB im Ostend, sondern hier im Euro-Tower mitten im Frankfurter Bankenviertel – sind also ganz nah dran – weil die Europäische Bankenaufsicht nach der Renovierung hier wieder eingezogen ist. Können denn die Steuerzahler, können die Anleger sicher sein, dass künftig ein Bankencrash unter anderem eben auch durch Sie – durch die Bankenaufsicht – verhindert wird?

Also, ich werde Ihnen hier nicht versprechen, dass in den nächsten zehn Jahren nicht die eine oder andere Bank den Marktaustritt findet. Das zu verhindern ist auch gar nicht unsere Aufgabe. Wenn eine Bank kein tragfähiges Geschäftsmodell mehr hat, dann sollte sie tatsächlich aus dem Markt austreten. Wichtig ist, dass das Ganze ordentlich geschieht, ohne große Aufruhr, ohne große Verluste für die Gläubiger der Bank. Wie gesagt, ich werde Ihnen nicht versprechen, dass es nicht hier und dort mal wieder einen Marktaustritt geben wird, dass es auch mal eine kleine Bankenkrise geben wird, das kann man nicht vorhersehen, das kann man nicht völlig ausmerzen. Aber es ist sehr viel unwahrscheinlicher geworden, es gibt unglaublich viele Regeln, es gibt eine große Verbesserung in der Aufsicht, die so eine Bankenkrise unwahrscheinlicher machen. Aber – ausmerzen können Sie das natürlich nicht vollständig.

Wenn Sie von so einem Bankenaustritt reden - im Grunde genommen haben wir da jetzt einen Fall, ich meine, die italienische Bank Monte dei Paschi di Siena, die müsste doch eigentlich auch nach den neuen Regeln der Bankenunion abgewickelt werden, aber der italienische Staat will sie jetzt doch irgendwie retten. Wie geht das denn?

Also, zunächst einmal, leider darf ich über einzelne Institute nicht reden. Ich habe eine ganz klare Verschwiegenheitspflicht, die mir das verbietet über die Informationen, die ich natürlich über die Bank besitze, Ihnen genaueres zu erzählen. Aber vielleicht kann ich Ihnen das ein bisschen abstrakter erläutern. Es gibt Regeln, die sehr deutlich sagen, was zu geschehen hat, wenn ein Institut beispielsweise in einem Stresstest, der ja nicht die Realität widerspiegelt, sondern es sind Szenarien für eine mögliche Verschlechterung, beispielsweise ein Kapitalloch hat. Und da gibt es die Möglichkeit, in den entsprechenden europäischen Richtlinien, wenn man bestimmte Bedingungen erfüllt, sich sozusagen ein „precautionary recap“ – das heißt, eine vorübergehende Rekapitalisierung – für mögliche zukünftige Ereignisse, zu besorgen. Da gibt es aber ganz klare Bedingungen und die müssen erfüllt sein – von jeder Bank.

Das soll ja jetzt gemacht werden bei dieser Bank, über die wir jetzt im Einzelnen nicht reden wollen. Aber ist es denn richtig, dass ein Staat, - also, der italienische Staat -, dann doch wieder zum Bankenretter wird – jetzt ganz grundsätzlich gesprochen?

Also, das Gesetz – und das ist eine Europäische Richtlinie –, das hat jetzt nichts mit Italien zu tun, sieht bei der Gefährdung der Finanzstabilität, so eine Möglichkeit vor und es sieht sie nur dann vor, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Wenn man also beispielsweise nicht bereits bestehende Verluste abdeckt mit diesem Kapitaleinschuss, sondern möglicherweise künftig eintretende Verluste, die sich aus einem Szenario eines Stresstests beispielsweise ergeben. Wie gesagt, das hat nichts mit Italien …

Wird es eigentlich noch, wird es …?

… zu tun.

Ja.

Sondern das ist eine europäische Richtlinie, die für alle gilt.

Es gibt ja jetzt die Idee, eine Bad Bank zu gründen, wo man, sozusagen, notleidende Kredite dann bündeln kann. Was halten Sie denn davon – für Europa?

Also, ganz grundsätzlich, stehe ich dieser Idee sehr offen gegenüber, wobei ich natürlich dann auch sehr deutlich wissen müsste, welche Details drum herum es denn gibt. Bedeutet das, dass die Banken ihre Kredite, die gegebenenfalls ausfallen werden, dann zu einem Marktpreis veräußern an die Bad Bank oder zu einem anderen Preis? Was bedeutet das für die möglichen Beihilfeverfahren, wenn es eben kein Marktpreis ist? Also, all das Drumherum zu dieser Bad-Bank-Idee ist sehr, sehr wichtig, um tatsächlich dann auch entscheiden zu können, ist das eine Idee und ist das eine Möglichkeit, die – in der Realität – bestehen kann und die die Regeln beachtet oder nicht?

Frau Lautenschläger, Sie bemühen sich ja hier in Europa die Banken strenger an die Kandare zu nehmen, damit so etwas wie diese letzte Finanzkrise nicht noch einmal passieren kann. In den USA scheint jetzt der Zug in eine andere Richtung zu gehen, der neue US-Präsident Donald Trump, der hat den sogenannten Dodd-Frank Act per Dekret auf den Prüfstand gestellt – also, die stärkere Regulierung der Banken. Fürchten Sie, dass damit einer erneuten Finanzkrise wieder Tür und Tor geöffnet werden könnte?

Also, für eine abschließende Beurteilung ist es noch ein bisschen zu früh, weil wir nicht ganz genau wissen, was die neue US-amerikanische Regierung tatsächlich überprüfen will und welche Bereiche dieses Dodd-Frank Act, der ja hunderte von Seiten hat und sehr viele Bereiche anvisiert, welche Bereiche sie ändern will. Insgesamt – ja, es stimmt, wir nehmen die europäischen Institute stärker an die Kandare, so wie Sie das ausgedrückt haben - halte ich die Finanzregulierung in der Gesamtheit für gelungen. Das eine oder andere werden wir in den nächsten zehn Jahren überprüfen müssen, ob wir da nicht sogenannte unbeabsichtigte Auswirkungen hatten. Aber in der Gesamtheit, glaube ich, ist es sehr wichtig, hier jetzt hier keinen großen Rückschritt zu machen und vor allen Dingen auch international keinen Rückschritt zu machen, sondern dafür zu sorgen, dass man das Bankgeschäft, das ja global ist, dass man Banken auch weiterhin mit globalen Regeln versorgt.

Ja, aber wenn jetzt praktisch der wichtigste Spieler – die USA -, die ja die wichtigsten Banken der Welt haben, wenn die ausscheren und deregulieren, was heißt das dann für uns hier in Europa?

Also, noch ist es nicht soweit. Wie gesagt, es ist zu früh, zu beurteilen, was tatsächlich in den USA angepackt wird. Im Dodd-Frank Act befinden sich sehr viele nationale Regeln, die für Europa, als solches, keine Auswirkungen haben würden, wenn sie denn beseitigt würden.

Wird es dann einen Wettbewerb um eine laxere Regulierung geben?

Nicht von unserer Seite. Ich halte nichts von laxerer Regulierung. Ich halte auch nichts von zu starker Regulierung, sondern es muss einen goldenen Mittelweg geben, der es den Instituten ermöglicht, der Realwirtschaft die Finanzierung, die Dienstleistungen anzubieten, die die Realwirtschaft so nötig hat. Aber, was daraus wird, wenn man zu laxe Regulierung hat, wenn man an die Selbstreinigungskräfte der Märkte glaubt, das haben wir ja gerade in 2007 / 2008 erfahren.

Sind Sie denn mit den USA da schon im Gespräch?

Ich spreche mit meinen US-amerikanischen Kollegen seit vielen, vielen Jahren und natürlich auch, ja, im letzten Monat. Und ich werde auch mit ihnen in den nächsten Jahren sprechen. Aber wie gesagt, es ist noch zu früh, das tatsächlich beurteilen zu können, es gibt ja nur eine allgemeine Richtung und Aussage: „Wir wollen hier etwas anfassen“, und dann spielt schon eine Rolle, was genau es ist.

Frau Lautenschläger, die Inflation ist zurückgekehrt. Lange gab es sie nicht, im ganzen Euro-Raum ist sie jetzt nach der letzten Schätzung auf 1,8 Prozent für den Euro-Raum angestiegen. Die EZB hat ja immer gesagt, man will eine Inflationsrate nahe 2 Prozent haben, die haben wir jetzt. Wann erhöhen Sie die Zinsen?

Ist die Inflation zurückgekehrt, frage ich Sie zurück, wenn es für einen Monat eine derartige Inflationsrate gibt? Wir haben …

Im Dezember lag sie bei 1,7 Prozent.

Nein, im Dezember lag sie für den Euro-Raum …

In Deutschland bei 1,7 Prozent und im Euro-Raum bei 1,1 Prozent, immerhin.

Genauso ist es. Im Euro-Raum – und die EZB macht ja Geldpolitik für den Euro-Raum – lag im Dezember die Inflationsrate bei 1,1 Prozent und im Januar wird sie auf 1,8 geschätzt. Ich freue mich da sehr darüber, sage ich Ihnen ganz ehrlich – unser Zielwert ist nah – knapp unter 2 Prozent. Nur wichtig ist für mich, dass das nicht ein vorübergehender, kurzer Ausreißer nach oben ist. Ich kann Ihnen sagen, für Januar wissen wir es noch nicht genau. Für Dezember war der Anstieg der Inflationsrate vor allen Dingen durch die Energiepreise bedingt und zwar durch den sogenannten Basiseffekt. Ein Jahr war rum mit den niedrigen Preisen und dann schlägt das ein und – halten Sie sich fest – auch durch die Pauschalreisen, die die Deutschen gebucht haben im Dezember. Das geschieht nun leider nicht jeden Monat, auch wenn wir Reiseweltmeister sind. Und deswegen ist es …

Okay, aber bleiben wir mal bei …

Lassen Sie mich bitte aussprechen: …deswegen ist es wirklich wichtig, dass es einen Trend gibt, dass sichergestellt ist, dass die Inflation auch wirklich zurückgekehrt ist.

Aber bleiben wir mal bei den Energiepreisen. Da ist ja nicht absehbar, dass der Ölpreis in der nächsten Zeit wieder sinkt. Also, eine Inflation – einen Trend – haben wir ja schon, aber die Zinsen liegen immer noch bei 0 Prozent. Wie kann man das verständlich machen? Wann werden Sie denn reagieren?

Also, ich bin eine derjenigen, die am optimistischsten ist, die schnellstmöglich zu einer Normalisierung der sehr expansiven Geldpolitik zurückkehren will. Aber für mich ist es entscheidend, dass es eben nicht nur ein kurzer, vorübergehender Ausreißer nach oben ist, der uns dann wieder – Monate später – zu niedrige Inflationsraten anzeigt und wir dann womöglich mit stärkeren und noch akkommodierenderen geldpolitischen Maßnahmen reagieren müssten. Das wäre, wie soll ich das sagen, mehr als kontraproduktiv. Also, …lassen Sie uns doch, lassen Sie uns einige wenige Monate abwarten und dann können wir auch sicher sein …

Aber Frau Lautenschläger, kann man denn eine Medizin auch vielleicht zu spät absetzen? Denn eine Medizin sollte es ja sein.

Oh ja, natürlich. Und es ist eine starke Medizin mit Nebenwirkungen und Risiken, die man nicht unterschätzen darf. Nur: noch schwieriger wäre es, wir würden sie absetzen, und würden zwei Monate später merken, dass es zu früh war, das Wachstum einbricht, die Arbeitslosigkeit wieder zunimmt, die Deutschen nichts mehr sparen können, weil sie keine Arbeitnehmer, sondern Arbeitslose sind, und weil die Unternehmer wegen mangelndem Wachstum keine Aufträge mehr einfahren. Die ganze Sparfähigkeit ginge zurück und dann nutzen Ihnen auch höhere Zinsen nichts – gar nichts nutzen Ihnen dann höhere Zinsen. Und deswegen ist es wichtig, …

Aber, wenn Sie schon den Deutschen als …

… es im richtigen Moment …

Ja.

…zu machen. So früh, wie nur irgendwie möglich.

Wenn Sie den Deutschen als Sparer nehmen, das ist ja nun ein ganz gutes Stichwort: Können Sie denn verstehen, dass viele Deutsche Sorge haben, dass ihr Geld dahinschmilzt, das sie zurücklegen fürs Alter?

Ja, ich bin Sparer.

Nehmen wir mal ein Beispiel. Also, null Zinsen, null Inflation, das heißt also, wenn jemand 10.000,00 Euro hat, dann hat er bei einer Inflationsrate von 1,7 Prozent – und die meisten Ökonomen gehen davon aus, dass es sich im nächsten Jahr auch so um den Wert drehen wird – dann hat er noch 9.830,00 Euro [nach einem Jahr] und nach zehn Jahren 8.400,00 Euro. Das Geld schmilzt dahin und die EZB, die tut nichts.

Ich verspreche Ihnen: Wenn wir zehn Jahre lang 1,8 Prozent haben pro Monat, dann …

Dann tun Sie was…?

Nein, früher schon, ganz sicherlich. Nein – wirklich ganz, ganz wichtig ist: jeder Sparer hat einen Grund, warum er sparen kann, er ist entweder Unternehmer, Freiberufler oder Arbeitnehmer. Wenn Sie keine Arbeit haben, wenn Sie keine Aufträge für ihr Unternehmen haben, weil das Wachstum nicht stimmt, weil die Investitionen nicht stimmen, dann können Sie auch nicht sparen. Und wenn Sie einen Monat lang 1,8 Prozent Inflationsrate haben, dann werden natürlich Ihre 10.000,00 Euro nicht um 200,00 Euro weniger, weil es ja nicht auf das ganze Jahr gerechnet werden kann, sondern nur auf einen Monat. Also, es ist ganz klar ein ernstes Thema – vor allen Dingen für Sparer -, auch für mich, ich bin auch Sparer. Ja, und deswegen geht es darum, so schnell wie möglich auszusteigen aus der expansiven Geldpolitik, und zwar weil die beabsichtigten Wirkungen der geldpolitischen Maßnahmen abnehmen über den Zeitraum, während die Risiken, die Nebenwirkungen, zunehmen. Also, es geht wirklich darum, so schnell wie möglich auszusteigen, aber es geht auch darum, nicht der Gefahr zu unterliegen, zu früh auszusteigen, nachdem man einmal für einen Monat einen kurzfristigen – womöglich vorübergehenden – Ausreißer gesehen hat.

Wobei, wir haben natürlich jetzt schon lange eine Phase der niedrigen Zinsen.

Ja.

Und meine Frage an Sie wäre: Welche Botschaft richtet diese Niedrigzinspolitik eigentlich an die jungen Leute? Die müssen doch jetzt eigentlich beginnen, Geld fürs Alter zurückzulegen, Lebensversicherungen abzuschließen, Bausparverträge abzuschließen, kriegen aber kaum noch Zinsen dafür. Welche Botschaft richten Sie an diese jungen Leute, die eigentlich vorsorgen müssten?

Also, meine Tochter ist 25 und ich sage meiner Tochter sehr deutlich: „Du hast ungefähr 40 Jahre vorzusorgen, wir wollen mit unseren geldpolitischen Maßnahmen dafür sorgen, dass du auch 40 Jahre lang sparen kannst und nicht nur das nächste Jahr mit höheren Zinsen. Wir wollen dafür sorgen, dass du Arbeit hast und dass Wachstum besteht. Lege dein Geld klug an, überlege dir, wann du es anlegst, diversifiziere, wenn du das möglich machen kannst.“ Die Deutschen haben im Übrigen im dritten Quartal letzten Jahres etliche Milliarden an Vermögen hinzugewonnen, also, es ist nicht so, als würden wir alle kein Vermögen haben.

Nicht alle gleichermaßen.

Nicht alle gleichermaßen, da bin ich ganz bei Ihnen.

Aktienbesitzer, Hausbesitzer, die haben gewonnen.

Ja, genau. Und junge Leute heiraten, haben Kinder und wollen ein Haus bauen und bekommen derzeit die Möglichkeit, ein Haus zu bauen zu Zinsen, so wie es früher nie der Fall war. Das heißt, wenn Sie Unternehmer sind oder wenn Sie eine junge Familie sind und Sie möchten gerne Ihren Wohnraum selber im Eigentum halten, dann sind das goldene Zeiten für Sie.

Wie erklärt man eigentlich Kindern heute den Sinn von Sparen, wenn sie gewohnt sind, aufgewachsen sind in einer Situation, wo am Ende des Jahres gar keine Zinsen gezahlt werden?

Man sagt den Kindern sehr deutlich, dass man nicht nur für einen Monat spart, sondern für viele, viele Jahre, und dass sich Anlagebedingungen über vier Jahrzehnte, wenn man für die Altersvorsorge sparen will, verändern, und dass man sich über den langen Zeitraum nicht nur das, was man ansparen kann, sondern auch die Sparfähigkeit, nämlich die Frage der Verdienstmöglichkeit, ansehen muss. Also, es ist wirklich wichtig, dass man als Eltern einem Kind erläutert, dass es nicht darum geht, für einen Monat zu sparen - das ist dann eine Frage des Taschengeldes und ob ich denn gerne mal ins Kino gehen möchte, et cetera - sondern dass man für die Altersvorsorge tatsächlich über Jahrzehnte sparen muss. Da gleichen sich die Zinsen dann sehr aus.

Wenn wir mal davon ausgehen, dass das jetzt nicht nur alles für einen Monat ist, sondern dass wir eine Inflation haben, die auch über mehrere Monate und ins nächste Jahr weiter ansteigen und höher liegen wird, dann hätten wir ja doch die Möglichkeit, in einem anderen Punkt ein bisschen zurückzufahren.

Ja.

Sie haben im Moment ein Anleihe-Kaufprogramm, wo Sie Milliarden und Milliarden ausgeben, um Anleihen zu kaufen, gerade erst verlängert. Am Ende des Jahres werden wir da ein Kaufvolumen von über zwei Billionen Euro erreicht haben – das kann man sich schon kaum vorstellen, diese Zahl. Können Sie da nicht mal ein bisschen zurückfahren, mal den Fuß vom Gaspedal nehmen?

Also, ich bin eine derjenigen, die für einen sehr frühen Austritt eintritt, wenn denn dann die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Und das bezieht sich natürlich vor allem auf das Staatsanleihekaufprogramm, das ja eine außergewöhnliche Maßnahme – geldpolitische Maßnahme – ist, also nicht zum normalen Standardprogramm gehört. Und sie haben jetzt das nächste, das übernächste Jahr oder einen Zeitpunkt in zehn Jahren angesprochen… Also, ich hoffe doch und bin da optimistisch, dass wir das ein bisschen früher als in fünf oder zehn Jahren sehen. Das Programm selber läuft so oder so im nächsten Jahr aus, wenn es denn dann nicht verlängert wird, falls unsere optimistischen Erwartungen doch nicht zum Tragen kommen und die Inflationsrate wieder niedriger ausfällt. Also, so gesehen, hat es derzeit tatsächlich auch eine gewisse Art von Endzeitpunkt. Ja.

Wenn das alles so bleibt, können wir im Frühjahr dann damit rechnen, dass da vielleicht ein erster Punkt gesetzt wird?

Also, ich werde Ihnen hier jetzt kein Datum nennen. Noch mal: Würde sich die Inflationsrate, so wie wir sie im Januar gesehen haben, fortsetzen, dann würde ich nicht bis nächstes Jahr warten wollen.

Gehen wir noch mal in die USA, da läuft ja die Wirtschaft prächtig, die amerikanische Notenbank wird wahrscheinlich in mehreren Schritten jetzt die Zinsen erhöhen. Müssen Sie da nicht irgendwie auch drauf reagieren?

Also, die amerikanische Notenbank hat den Auftrag für Preisstabilität in ihrem Währungsraum zu sorgen. Wir haben den Auftrag für Preisstabilität in unserem Währungsraum zu sorgen. Der amerikanischen Wirtschaft geht es tatsächlich besser als der europäischen Wirtschaft. Sie ist schon sehr viel länger auf einem sehr viel kräftigeren Wachstumsanstieg. Bei der amerikanischen Notenbank werden ja auch noch die Arbeitslosen- bzw. die Beschäftigtenzahlen angeschaut, die haben das direkt mit im Mandat. Also, dort sind die Verhältnisse sehr viel positiver und auch schon sehr viel länger und das bedeutet, dass wir natürlich mit unterschiedlichen Voraussetzungen arbeiten.

Stimmt denn der Vorwurf der amerikanischen Regierung, dass Deutschland die USA und andere Länder durch den unterbewerteten Euro ausbeutet?

Nein. Der stimmt nicht. Jeder von uns – die amerikanische Notenbank sowie hier die EZB – hat ein Preisstabilitätsmandat. Und wenn bei uns die Inflationsrate für einen langen Zeitraum sehr viel zu niedrig ist und die Inflationserwartungen auch nach vorne – wenn Sie sich das anschauen –sehr niedrig sind, nämlich unterhalb, weit unterhalb der 2 Prozent, die wir anstreben, dann müssen wir reagieren, denn das ist unser Mandat. Das hat nichts damit zu tun, dass irgendjemand jemanden anderen ausbeutet.

Frau Lautenschläger, wir haben hier in Europa jetzt ganz wichtige Wahlen, in den Niederlanden, in Frankreich, hier in Deutschland auch, die euroskeptischen Bewegungen wie die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien oder die Front National in Frankreich, die argumentieren, dass ihre Wirtschaft mit einem flexiblen Wechselkurs wettbewerbsfähiger sei. Stimmt das? Und droht irgendwie die Gefahr, dass da Staaten aus dem Euro austreten? Kann das aus Ihrer Sicht eine Folge sein?

Also, für mich ist das Spekulation, ob Staaten aus dem Euro austreten. Der Wohlstand, den der Euro gebracht hat, der wird oft unterschätzt. Die Vorteile, die der Euro gebracht hat, an Zusammenhalt, an Vertrauen für den Euro-Raum in der Gesamtheit, an Kosten, die man nicht mehr hat, weil man als Unternehmen das Fremdwährungsrisiko zwischen den Euroländern nicht mehr betrachten muss, all das führt dazu, dass für mich die Frage, ob ich im Euroland besser aufgehoben wäre oder außerhalb des Eurolandes, eindeutig zu beantworten ist. Wir sind im Euroland besser aufgehoben und ich hoffe doch, dass sowohl die italienische als auch die französische und die deutsche Bevölkerung die Vorteile des Euros, des einheitlichen Währungsraumes, zu schätzen wissen.

Die populistischen Parteien in Europa, die beziehen ja einen großen Teil ihres Zuspruchs auch aus dem Misstrauen gegenüber Institutionen und dazu gehört auch in Europa die EZB. Fürchten Sie, dass Sie davon auch getroffen werden? Oder nehmen Sie das schon wahr?

Also, ich nehme wahr, ich habe gehört, dass die Zustimmung beispielsweise der deutschen Bevölkerung zum Euro, und zu Europa so hoch ist wie noch nie. Ich nehme natürlich auch wahr, dass die Zustimmung zur EZB nicht so hoch ist. Ich denke, dass wir sehr viel mehr erläutern müssen, wofür wir stehen, welche Aufgaben wir haben, welche Aufgaben wir nicht haben, was wir nicht beeinflussen können, dass wir sehr viel mehr und besser erläutern müssen, warum auch die EZB für Europa und für den Euro eine sehr wichtige Rolle spielt. Und das Interview heute ist ja beispielsweise auch eine Möglichkeit.

Ja. Aber es gibt auch andere Gelegenheiten, wo es doch eine sehr akademisierte Fachsprache gibt, die da vermittelt wird, …

Ja, das stimmt.

wo also vielleicht nicht jeder dann auch die Argumente der Europäischen Zentralbank nachvollziehen kann. Was kann man denn dagegen tun?

Wir müssen unsere Sprache vereinfachen. Aber ich gebe Ihnen Recht, es ist hier und dort sehr schwierig, die wirtschaftlichen Begriffe, die technischen Begriffe, so zu erläutern, dass jeder das verstehen kann, also, auch Menschen, die nicht Volkswirtschaft studiert haben. Aber trotzdem ist das unsere Pflicht und es ist wichtig. Ich meine, wenn Sie danach fragen, „Kann denn heute ein Deutscher noch sparen und wie erkläre ich das meinen Kindern?“, dann ist es meine Pflicht, das zu erläutern.

Noch zum Brexit. Welche Folgen hätte denn der Austritt Großbritanniens für den Euro-Raum?

Wir konnten im letzten halben Jahr keine Auswirkungen dieser Entscheidung auf das Wirtschaftswachstum sehen. Ob das so bleibt in den nächsten Jahren, das kann man ganz schlecht vorhersehen. Es kommt auch ein bisschen darauf an, welches Ergebnis die Verhandlungen, die Austrittsverhandlungen zwischen Großbritannien und den europäischen Gremien und Institutionen haben.

Es soll ja auch die Deutsche Börse mit der Londoner Börse zusammengehen, das wollen jedenfalls beide Börsen. Könnte dieser geplante Zusammenschluss auch eine Prüfung durch die Europäische Zentralbank erforderlich machen?

Das hat es schon erforderlich gemacht vor der Entscheidung des Brexit, weil es unter anderem auch um die Verschiebungen von verschiedenen Anteilen an verschiedenen Banken geht. In den Einzelheiten darf ich nichts sagen, das verbietet die Verschwiegenheitspflicht, aber so eine Art von Zusammenschluss wird immer von den verschiedensten Aufsehern, aus verschiedenen Perspektiven bewertet und die eine oder andere Entscheidung muss da fallen.

Grundsätzlich …

Unabhängig vom Brexit.

Grundsätzlich hat die EZB aber keine, sagen wir mal, generellen Einwände gegen eine solche Fusion?

Wir sind mit unseren Prüfungen noch nicht am Ende angekommen. Ich kann Ihnen also nicht sagen, was da herauskommen wird und ich darf es auch nicht sagen, weil es hier um einzelne Institute geht. Ich bitte hier um Verständnis.

Frau Lautenschläger, vielen Dank für das Gespräch.

Ich danke Ihnen vielmals.

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