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Interview mit Die Zeit

Interview mit Peter Praet, Mitglied des Direktoriums der EZB, geführt von Lisa Nienhaus und Mark Schieritz am 12. Dezember und publiziert am 14. Dezember 2016

Herr Praet, Sie sind EZB-Direktor und damit Teil einer internationalen Elite, die von den neuen rechten Bewegungen regelrecht gehasst wird. Fühlen Sie sich davon bedroht?

Peter Praet: Nein, aber ich mache mir Sorgen. Wir als europäische Institution schauen darauf, wie sehr uns die Menschen vertrauen. Die Menschen mögen den Euro, aber die jüngste Eurobarometer-Umfrage zeigt, dass das Vertrauen in die europäischen Institutionen in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen ist. Das gilt für ganz Europa und auch für nationale Institutionen, nicht nur für die EZB. Aber eben auch für uns.

Kein Wunder, wenn die Sparer keine Zinsen mehr bekommen!

Daran liegt es nicht. In den vergangenen Jahren, also in der Niedrigzinsphase, haben sich die Zustimmungswerte nicht wesentlich verändert. Der starke Rückgang kam im Jahr 2008 infolge der Finanzkrise. Damals stürzte das Vertrauen ab. Das hat vor allem ökonomische Gründe. Vor dem Jahr 2008 haben wir und die meisten Ökonomen vorhergesagt, dass der Euroraum weiterhin kontinuierlich wachsen würde. Doch dann kam die Rezession nach der Finanzkrise und wir haben die vorhergesehene Wirtschaftskraft nie erreicht. Kurz danach kamen die Staatsschuldenkrise, die zweite Rezession und die Rettungsprogramme mit ihren Sparauflagen. Es wurden also viel zu hohe Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt wurden. Das ist eine große Enttäuschung für viele.

Also ist alles die Finanzkrise Schuld. Die EZB selbst hat nichts damit zu tun?

Auch die Zentralbanken haben die Krise nicht frühzeitig kommen sehen. Das Kreditwachstum war in den Jahren vor der Krise sehr hoch, nicht nur in Europa, begünstigt durch relativ niedrige Zinsniveaus in einigen Ländern. Wir haben damals mehrfach vor der übermäßigen Liquidität auf den Märkten gewarnt. Als die Krise dann ausgebrochen ist, stellte man fest, dass Europa auf eine solche Situation nicht richtig vorbereitet war.

Was fehlte?

Das Instrumentarium war unzureichend, um auf krisenhafte Entwicklungen reagieren zu können. Es fehlte die gemeinsame Bankenaufsicht, es gab keine Institutionen für die Stabilisierung oder Abwicklung von Banken und es gab keine makroprudentiellen Instrumente. Das hat die Auswirkungen der Krise verstärkt. Zentralbanken haben ein wesentliches Instrument, um Preisstabilität zu erreichen – den Zins. Allein mit diesem Instrument in einer komplexen Gemengelage gegenzusteuern, ist schwierig. Aber wir sind gut damit vorangekommen, die Währungsunion auf eine stabilere Basis zu stellen.

Das haben die europäischen Eliten auch getan. Doch offenbar ist das Volk nicht glücklich damit. Am Ende ist es doch der Euro, ohne den es die Probleme nicht gäbe? War der Euro selbst ein Fehler?

Nein. Die Krise hat nur deutlich gemacht, dass der Euro innerhalb eines unvollständigen institutionellen Rahmens geschaffen wurde. Wir sollten aber auch nicht vergessen, was wir dem Euro verdanken. Vor der Währungsunion gab es immer wieder ökonomische Schocks, wegen der starken Schwankungen der Wechselkurse. Das schuf Handelsbarrieren. Außerdem muss man immer die Alternative mitdenken. Nehmen wir das Beispiel Deutschland: Ohne den Euro hätte in der Finanzkrise die Währung sehr stark an Wert gewonnen. Für ein Land, das viel exportiert, ist das problematisch. Dass es dem Land damit besser gehen würde als jetzt, das wage ich zu bezweifeln – und wahrscheinlich wären auch in diesem Fall die Zinsen sehr stark nach unten gedrückt worden.

Im Moment reden alle davon, dass die Eliten zu lange in ihren Filterblasen gelebt haben und das Erstarken des Populismus verpasst haben. Trifft Sie das auch? Leben Sie in der EZB-Blase?

Vielfalt der Meinungen und Ansichten ist für uns eine wichtige Grundlage für gute Entscheidungen. Wir haben im EZB-Rat die 19 Gouverneure der nationalen Notenbanken, die dem Gremium als Person und nicht als Vertreter ihrer Länder angehören. Das bereichert die Diskussion und den Blick auf die Welt. Und umgekehrt können sie auch in ihren Ländern unsere Entscheidungen erklären. Wir selbst gehen regelmäßig in das Europäische Parlament und gelegentlich in nationale Parlamente.

Mario Draghi zum Beispiel hat vor einigen Wochen im Bundestag gesprochen.

Und Sie selbst?

So oft ich kann, suche ich den Austausch. Zum Beispiel war ich bei Veranstaltungen des deutschen Mittelstands und nehme an vielen Panels teil. Gerade neulich habe ich dabei unter anderem den Präsidenten der bayerischen Bausparkassen getroffen. Bei solchen Treffen lernen beide Seiten. Die Deutschen sind kritisch, aber sie sind immer höflich, so erlebe ich es. Meistens verstehen die Leute mich nach solchen Veranstaltungen besser. Aber meistens finden sie es trotzdem nicht gut, was wir machen.

Treffen Sie auch mal harte Kritiker? Zum Beispiel Mitglieder der AfD, einer Partei, die ja ganz gezielt als Protest gegen die Euro-Rettungspolitik entstanden ist?

Wir sind offen für den Dialog mit unseren Kritikern. Und wir stellen uns dem auch regelmäßig, nicht zuletzt im Europäischen Parlament.

Im Moment steigen überall auf der Welt die Zinsen. Nur die EZB stellt sich gegen den Trend und lässt die Zinsen niedrig. Verlieren Sie den Anschluss?

Das Bild ist gar nicht so einheitlich, wie sie es schildern. In den USA beispielsweise ist die wirtschaftliche Erholung deutlich weiter fortgeschritten als in der Euro-Zone, die Arbeitslosigkeit ist niedriger und die Inflationsrate höher. Deshalb kann die amerikanische Wirtschaft höhere Zinsen verkraften. Wir sind noch nicht so weit.

Wieso? Auch in Europa sinkt die Arbeitslosigkeit, Wachstum gibt es auch – und der Ölpreis steigt.

Es stimmt, dass sich der Aufschwung festigt. Allerdings ist das Tempo noch gemäßigt und die Inflation ist noch ein gutes Stück entfernt von einem nachhaltigen Weg zurück zum angestrebten Wert. Deshalb haben wir beschlossen, unser Staatsanleihe-Kaufprogramm bis Ende kommenden Jahres zu verlängern. Wir haben den Umfang der monatlichen Käufe allerdings ab April um 20 Milliarden Euro reduziert.

Ist das der Einstieg in den Ausstieg aus dem Billionenprogramm?

Nein. Wir wollen die Dosis an geldpolitischer Unterstützung beibehalten, die wir der europäischen Wirtschaft bislang verabreicht haben.

Was müsste denn passieren, damit Sie bereit sind auszusteigen?

Es müsste sich abzeichnen, dass die Inflationsrate sich dauerhaft unserem Ziel von mittelfristig unter, aber nahe zwei Prozent annähert.

Das kann sich schnell ändern. An den Finanzmärkten wird erwartet, dass die amerikanische Wirtschaft einen Schub erhält, weil Donald Trump die Steuern senken und die Staatsausgaben erhöhen will. Davon würde auch Europa profitieren, wenn wir mehr exportieren könnten.

Es gibt Anzeichen für eine künftig lockerere Finanzpolitik in den USA, die zu höheren Wachstumsraten führen soll. Aber das allein wird nicht reichen. Es kommt darauf an, die Wirtschaft produktiver zu machen. Ein weiterer offener Punkt ist Protektionismus, der natürlich schädlich wirken würde, auch für Europa. Trump ist noch nicht Präsident. Wir wissen nicht, was er genau vorhat und deshalb sollten wir vorsichtig sein.

Sie wollen die Welt also weiter mit Geld überschwemmen. Dabei haben Sie schon für mehr als eine Billion Euro Anleihen gekauft. Am Ende des bislang geplanten Programms werden es 2,3 Billionen sein.

Wir überschwemmen niemanden. Die Leute reden immer nur über die Milliarden an zusätzlichem Zentralbankgeld, die wir bereitstellen. Kaum jemand thematisiert aber, dass die Geldmenge und die Kreditvergabe eher moderat wachsen. Unsere Maßnahmen zielen daher darauf, dieses schwache Wachstum der Kredit- und Geldmenge zu beleben.

Wie kann man das jemandem erklären, der nicht Zentralbanker ist?

Neben Zentralbanken können auch Banken durch Kreditvergabe an die Wirtschaft Geld schaffen. Tun die Banken das nur zögerlich, dann können wir die Finanzierungsbedingungen attraktiver gestalten und so Anreize für eine großzügigere Kreditvergabe setzen. Solange die Geldmenge insgesamt nicht sehr schnell wächst, ist das nicht beunruhigend und führt auch nicht zu übermäßigem Inflationsdruck.

Das heißt: Sie machen alles richtig, es versteht nur niemand?

Das habe ich nicht gesagt, aber wenn die Zinsen bei Null angekommen sind, wird die Geldpolitik sehr kompliziert zu erklären. Die Zentralbanken sind nicht am Ende ihrer Möglichkeiten, aber sie müssen zu unkonventionellen Mitteln wie dem Ankauf von Staatsanleihen greifen.

Hier in Frankfurt sind Immobilienpreise innerhalb eines Jahres um 20 Prozent gestiegen. Das ist nicht so schwer zu verstehen. Baut sich da die nächste Krise auf?

Wir verfolgen die Entwicklungen an den Finanzmärkten sehr genau. In einigen Regionen beobachten wir tatsächlich einen starken Anstieg der Immobilienpreise, aber das ist noch kein europaweites Phänomen. Und: Richtig gefährlich ist ein solcher Boom in der Regel erst dann, wenn er auf Pump finanziert wird. Die Vergabe von Baukrediten wächst aber nur sehr langsam.

Können Sie im Fall einer Krise überhaupt rechtzeitig reagieren? Länder wie Italien sind schließlich so hoch verschuldet, dass sie höhere Zinsen womöglich nicht verkraften würden.

Diese Sorge kann ich Ihnen nehmen. Wenn die Zeit für höhere Zinsen gekommen ist, dann werden wir die Zinsen auch erhöhen. Das würden auch die Staaten verkraften: Viele von ihnen haben die Phase niedriger Zinsen genutzt, um die Laufzeiten ihrer Kredite zu verlängern. Wenn die Zinsen steigen, führt das also nicht sofort zu einem deutlichen Anstieg der Kosten, um die Schulden zu bedienen. Das bedeutet nicht, dass hohe Schulden unproblematisch sind, aber sie schränken den Handlungsspielraum der EZB nicht ein.

Italien macht uns auch heute schon Sorgen. Das große Problem sind die maroden Banken. Die neue Regierung denkt über Staatshilfen nach. Ist das sinnvoll?

Die europäischen Regeln lassen das zu. Auch Deutschland hat auf dem Höhepunkt der Krise Staatsgeld in die Banken gesteckt; Italien tat das damals nicht. Viel wichtiger als die Frage, woher das Geld kommt, ist aus meiner Sicht, dass im Bankensektor aufgeräumt wird. Es gibt in Italien zu viele Banken und sie sind nicht profitabel genug.

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